Ich muss zugeben, ich war ein wenig nervös, als ich mich auf den Weg nach Frankfurt machte. Mein Ziel war das Protestcamp vor der EZB. Schon seit ihren Anfängen hat mich die „Occupy“-Bewegung fasziniert: die Spontanität, die vielen unterschiedlichen Menschen, der Aktionismus – endlich jemand, der aufsteht, der etwas tut, der sich nicht mehr alles gefallen lässt.
So oft habe ich in der Vergangenheit schon das Gefühl gehabt, dass man gegen eine große Mehrheit, die einfach vor sich hinlebt und nichts ändern möchte, nichts ausrichten kann. Dass Menschen, die bestimmte Systeme in Frage stellen, sowieso auf verlorenem Posten stehen. Die Berichte über „Occupy“ ließen mich wieder Hoffnung schöpfen, dass man tatsächlich etwas ändern kann. Das mag jetzt kitschig und sozialromantisch klingen, aber manchmal geht es nicht anders!
Angst vor enttäuschten Erwartungen
Warum aber war ich nervös? Eigentlich hätte ich doch vor Vorfreude platzen müssen. Wahrscheinlich gab es dafür zwei Gründe. Erstens wusste ich trotz der medialen Berichterstattung und der Blogs nicht genau, was mich eigentlich erwartet. Natürlich, ich konnte mir denken, dass dort vor der EZB irgendwelche Zelte stehen und überall Transparente hängen. Auch von den Aktivisten hatte ich schon eine gewisse Vorstellung. Aber die Stimmung, die Atmosphäre, die dort herrscht, die spürt man nicht unbedingt beim Lesen eines Zeitungsartikels.
Selbst, wenn er gut geschrieben ist, sind es eben doch nur Informationen aus zweiter Hand. Ich war nervös, weil ich befürchtete, dass meine Erwartungen nicht erfüllt werden. Dass die Atmosphäre mich persönlich nicht berührt, dass alles viel unspektakulärer und unbedeutender ist, als ich es mir vorstelle. Zweitens fuhr ich mit Leuten nach Frankfurt, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Ich hatte mich mit ihnen am Bahnhof verabredet, um sie für eine Reportage zu begleiten. Ich fuhr also nicht nur als Privatperson mit, sondern auch als Journalistin. Ich wusste nicht, wie die Gruppe darauf reagiert und ob ich mit ihnen überhaupt ins Gespräch kommen würde…
Gemeinsamer Glaube an Veränderung
Zum Glück lösten sich beide Sorgen in Luft auf, als wir in Frankfurt ankamen. Mit rund 2500 anderen Demonstranten liefen wir drei Stunden lang durch das Frankfurter Bankenviertel, hörten uns Reden an, diskutierten über Gott und die (Finanz-)Welt. Und spätestens, als ein großer Teil der Demonstranten die Treppe einer Bank stürmten, die Musik laut aus den Boxen tönte und alle klatschten und tanzten, berührte mich die ganze Sache. Die Kraft, die von dieser Menschenmenge plötzlich ausging – inmitten von gewaltigen Bankentürmen – war plötzlich unglaublich präsent. Später, im Camp, kannte ich im Grunde niemanden. Trotzdem fühlte ich mich nicht fremd. Dieser allgegenwärtige Glaube an Veränderung, der dort trotz aller Probleme in der Luft liegt, verbindet mich vielleicht mit den Besetzern.
Nervosität weicht Spannung
„Diese Bewegung tut den Menschen gut“, sagte einer der Würzburger zu mir. Damit brachte er es für mich auf den Punkt. Die Leute wollen etwas ändern. Sie leben etwas aus, was vielleicht schon lange überfällig ist. Deswegen bin ich jetzt nicht mehr nervös, sondern eher gespannt und motiviert. Gespannt, was wir aus dieser Welt machen. Ob es tatsächlich eine Veränderung gibt oder ob die Gesellschaft irgendwann an den Punkt kommt, an dem alles zusammenbricht. Und motiviert, die eigenen Ideale weiter zu verteidigen und trotz großer Widerstände nicht aus den Augen zu verlieren.
Artikel in der Main-Post (31. Oktober 2011):