Schade, dass die Realität so selten hält, was einem der eigene Optimismus verspricht. Schade, dass meine Erwartungen so oft enttäuscht werden. Dabei will ich doch eigentlich gar nicht viel – aber vielleicht ist das genau mein Problem. Ich will zu wenig.
In der Vorweihnachtszeit steht man auf ziemlich verlorenem Posten, wenn man in die Stadt geht, um besinnliche Atmosphäre zu erleben. Wenn man sich auf Kerzenschein und Glühweinduft freut und stattdessen nur unzählige Holzbüdchen sieht, die Kram verkaufen, den die Welt nicht braucht. Wenn man sich am Wochenende eigentlich entspannen möchte und sich stattdessen durch die Menschenmassen drängeln muss, die durch voll gepackte Einkaufstaschen nur noch enger werden.
Die Welt kommt zur Ruhe
Naja, was habe ich erwartet? Eigentlich sollte ich doch inzwischen wissen, wie Weihnachtsmärkte ablaufen. Trotzdem war ich dieses Jahr (zu) frohen Mutes. Wie schon berichtet, hat die Weihnachtsstimmung bei mir ja heuer überdurchschnittlich früh eingesetzt. Das hat rein gar nichts mit Religiösität zu tun – mit der habe ich schon länger nichts mehr am Hut. Irgendwie reizt mich die weihnachtliche Stille, die die ganze Welt zur Ruhe kommen lässt. Die Dunkelheit, die den Alltag ein bisschen zu entschleunigen scheint. Und die Freude auf die Tage mit meiner Familie. Insofern halte ich Weihnachten schon für gesellschaftlich wertvoll – wenn auch nicht im ursprünglichen Sinn.
Smalltalk im Toilettenhäuschen
Aber zurück zum Thema: Atmosphäre versus Konsum. Meine Vorfreude begann bereits zu weichen, als ich verzweifelt eine Toilette suchte. Erste Station: ein großes Kaufhof. Bis in die vierte Etage musste ich hoch (Man soll ja schließlich durch alle Etagen und Produktsortimente, bevor man seine Notdurft verrichten kann – man könnte ja irgendetwas kaufen). Dort oben angekommen erwartete mich eine Schlange mit einem Dutzend wartenden Damen.
Ich machte kehrt und ging notgedrungen ins nächste Fast Food-Restaurant, das ich sonst eigentlich nie betreten würde. Es war halt wirklich dringend. Eine Chance auf Erleichterung hatte ich hier aber auch nicht. Die Schlange war ähnlich lang. Also hieß es: durchhalten. Mitten auf dem Weihnachtsmarkt fand ich schließlich ein Toilettenhäuschen mit einer netten Dame, die sich grade einen Kinderpunsch besorgt hatte. „Ich trinke keinen Alkohol“, erzählte sie mir. Wie sie wohl den ganzen Weihnachtstrubel tagtäglich erleben mag?
Wertschätzung: Fehlanzeige
Mir persönlich reicht dieser Besuch erstmal. Vielleicht war es auch ein Fehler, sich das Ganze bei Tageslicht anzusehen. Im Dunkeln ist möglicherweise alles ein bisschen charmanter – schon allein, weil die Geschäfte dann geschlossen sind. Aber auch die Dunkelheit ändert nichts an der Tatsache, dass es nicht um Atmosphäre und Stimmung geht. Es geht um Geld, um Küchengeräte, um sinnlose Geschenke – und um’s Essen. Normalerweise wird mir nicht schlecht, wenn ich Fleisch sehe. Ich kann sogar an einer Fleischtheke vorbeigehen, ohne auszurasten – man glaube es kaum.
Aber die Art und Weise, wie sich die Leute auf dem Weihnachtsmarkt massenhaft die Bratwürste in die Münder geschoben haben, hat mich tatsächich angewidert. (Dass man als Veganer sehr geringe Chancen hat, auf dem Weihnachtsmarkt kulinarische Genüsse zu finde, erwähne ich mal nur am Rande – das hatte ich nämlich sowieso nicht erwartet.) Es hat einfach rein gar nichts mehr mit Wertschätzung zu tun. Es kommt mir vor, als hätten weder das Essen noch die Zeit vor Weihnachten noch die vielen Waren noch irgendeinen Wert.
Wachstum ist nicht die Lösung
Klar, möchte man manchen Menschen eine Freude machen. Aber geht das nicht auch das restliche Jahr über? Eigentlich würde ich Weihnachtsgeschenke nämlich gerne abschaffen – oder zumindest reduzieren. Damit die Leute wieder Zeit und Muße haben, sich um wichtige Dinge zu kümmern: sich Zeit für sich und seine Familie nehmen, mal ein wenig abschalten, nachdenken, lesen – was auch immer. Alles ist besser, als gehetzt durch die Innenstadt zu tingeln und Geld auszugeben. Einige mögen jetzt denken: „Aber das kurbelt doch die Wirtschaft an! Und Wachstum ist wichtig, gerade in Krisenzeiten..“ Das mag sein. Aber vielleicht zeigt sich gerade jetzt, dass unbegrenztes Wachstum nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist. Wir haben nur noch keine Alternative gefunden…
Vegane Weihnachtsbäckerei
Ich selbst habe mir vorgenommen, genau drei Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Für wen, kann ich an dieser Stelle nicht verraten. Eins habe ich schon, das habe ich im Weltladen gekauft – also zumindest mit gutem Gewissen. Jaja, ich weiß, ich bin ein blöder Gutmensch, der nur Moralpredigten halten kann. Aber irgendwer muss es ja schließlich tun – auch wenn ich mich damit bei irgendjemandem unbeliebt mache. Sei’s drum. Die Zeit, die ich beim Weihnachtseinkauf spare, möchte ich übrigens in unsere WG-Küche investieren und ein paar vegane Plätzchen backen. Rezepte habe ich schon gefunden (siehe unten). Ich hoffe, dass beim Backen meine Erwartungen ausnahmsweise nicht enttäuscht werden…und sich ein paar Würzburger demnächst über leckere Kekse freuen können.
Links zu den Rezepten:
Liebe Regine,
es ist immer wieder ein Genuss, Deine Beiträge zu lesen. Ich wünschte mir so sehr (wenn Du es denn wolltest), dass Du als Journalistin eine Kracher-Karriere hinlegtest …
Du weißt aber schon, dass Du dafür etwas weniger (Mainstream-) kritisch und etwas (Mainstream-) moderater werden solltest? Oder sollte gar die Zeit gekommen sein, dass man, um Karriere machen zu können, genau so sein muss, wie Du es bist?
Egal – Du bist schon klasse … :-)
Hallo PD,
danke für den netten Kommentar :)
Aber: Wieso glaubst du, dass ich moderater werden muss? Meinst du, so etwas ist nicht gerne gesehen? Da bin ich mir nicht so sicher. Gerade in letzter Zeit scheinen mir die Leute sehr aufgeschlossen für neue Sichtweisen…
Und: Es ist vielleicht auch die Frage, was man unter „Karriere“ genau versteht ;)