Ein froher Verzicht

Im Grunde ist es egal, wo ich hingehe. Ob im Supermarkt, im Café, im Restaurant oder bei Freunden – was das Essen angeht, ist meine Auswahl meistens in irgendeiner Weise eingeschränkt. Da ist zum Beispiel die Milch im Kaffee, das Süßmolkenpulver in den Chips oder die Fleisch-Karte im Restaurant … und so weiter. Überall wimmelt es von Produkten, die ich nicht konsumieren möchte. Inzwischen ist das für mich kein Problem mehr. Es ist normal, an ganzen Regalen im Supermarkt einfach vorbeizugehen. Ich brauche sie nicht.

Genauso wenig wie die zehn Seiten der Restaurant-Speisekarte, auf denen Fleisch- und Fischgerichte angepriesen werden. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Ich muss mich nicht zusammenreißen oder ständig an meine Disziplin appellieren. Die Entscheidung ist getroffen und es lebt sich gut damit.

Falsche Definition

Natürliche „verzichte“ ich auf vieles – so sagen es die gängigen Definitionen von Veganern: Sie verzichten auf Fleisch, Milch, Eier und sonstige tierische Produkte. Dabei vermittelt dieser Ausdruck einen falschen Eindruck. „Verzicht“ hat so gut wie immer einen negativen Beigeschmack. Das Wort impliziert, dass man eine Möglichkeit nicht wahrnimmt, die man eigentlich gerne nutzen würde. Dass man unter größter persönlicher Anstrengung ein veganes Gericht ordert, obwohl man lüstern auf das Steak des Nachbarn blickt. Aber muss Verzicht wirklich zwangsläufig etwas Negatives sein?

Verzicht befreit

„Nein!“, sagt auch Achim Fey. Der ehemalige Journalist (Jahrgang 1956) beschreibt in seinem Buch „Genug kann genügen“, wie Verzicht das Leben bereichern kann. Er ist nach vielen eigenen Erfahrungen der festen Überzeugung, dass Verzicht den Menschen befreit. Indem er bewusst einige Dinge aus dem Alltag streicht, kann er sich stattdessen auf Grundlegenderes besinnen. Auf’s erste Hören klingt das wohl ein wenig abgehoben und zu spirituell, aber in diesem sehr lesenswerten Buch stecken – wie ich finde –wichtige und richtige Ansätze, die unser Leben positiv beeinflussen können.

Gewohnheiten hinterfragen

Es geht Fey nicht vorrangig um den Verzicht auf bestimmte Lebensmittel – und das ist auch gut so. Generell finde ich es nämlich wenig sinnvoll, die eigene Ernährung als abgekapselten Teil des Lebens zu betrachten. Für mich gehört sie vielmehr zu einem großen Ganzen. Es geht darum, sich über seinen eigenen Lebensstil und die Folgen des Konsums bewusst zu werden. Mit seinem „Plädoyer für einen frohen Verzicht“ (so der Untertitel des Buches) möchte Fey seine Leser anregen, alltägliche Gewohnheiten und Paradigmen zu hinterfragen und möglicherweise zu ändern. Dafür gibt er gleich einige praktische Tipps an die Hand, die wahrscheinlich nicht jeder gleich vollständig umsetzen möchte/kann, aber das Leben zumindest in eine neue Richtung lenken können.

Kritik am Wachstumsparadigma

Bei den hilfreichen lebensnahen Betrachtungen (Wozu brauchen wir eigentlich einen Fernseher? Kann ich mein Gemüse nicht selbst produzieren? Wofür würde ich meine Zeit am liebsten einsetzen?) verliert der Autor auch den großen Kontext nicht aus den Augen. Das scheinbar unumstößliche Ziel des Wirtschaftswachstums, das inzwischen zum Selbstzweck verkommen ist, stellt er in Frage und kommt auch auf eine alternative „Post-Wachstums-Ökonomie“ zu sprechen. Für ihn steht fest: So wie in den letzten Jahrzehnten kann es nicht weiter gehen. Nicht nur die Umwelt leidet, auch der Mensch selbst. Deshalb muss sich das System (des Kapitalismus) verändern/erneuern – und dafür braucht es den Einzelnen.

Die Kraft des Einzelnen

Dieser Gedanke gefällt mir besonders gut. Fey erwartet nichts von der Politik. Er vertraut darauf, dass die Veränderungen im Kleinen stattfinden, dass die Menschen selbst die nötigen Alternativen entwickeln und ausprobieren, die die Gesellschaft in Zukunft brauchen wird:

„Der einzelne Mensch ist flexibler und kann sich schneller verändern als die Gesellschaft, ihre Strukturen und Institutionen. Er hat heute als Individuum eine größere Bedeutung und bessere Einflussmöglichkeiten als in früheren, kollektiven Gesellschaften. Es liegt an ihm, ob er sich die Vorgaben der Konsumsouffleure weiterhin willfährig antut und bloß nach dem Staat ruft, wenn er Veränderungsbedarf sieht. Oder ob er zu eignen Anstrengungen bereit ist, zu einer schlüssigen Einheit von Denken und Handeln, zu einem vorbildhaften und deshalb letztlich einflussreichen alternativen Lebensstil.“

Zwar gibt es noch kein fertiges Bild einer solchen Alternative, aber ohne Verzicht wird sie nicht auskommen – ein froher Verzicht wohl bemerkt. Ein Verzicht, der den Blick wieder auf die wichtigeren Dinge des Lebens lenkt. In dieser Definition finde auch ich mich wieder – und wahrscheinlich geht es vielen Veganern so. Verzicht muss keine Strafe oder Zügelung sein. Er kann ausfüllen. Er kann helfen, Zusammenhänge mit der nötigen Distanz zu betrachten und klarer zu sehen. Verzicht kann Augen öffnen. Einen Versuch ist es wert, oder?

5 Kommentare zu „Ein froher Verzicht

  1. ich denke mir auch oft, wenn ich „aber dann kannst du ja total viel nicht mehr essen!“ höre, „ist das wirklich so wichtig?“ muss ich jederzeit eiscreme, fertigpizza und sahnetorte essen? ist das die ultimative lebensqualität?
    viele sachen sehe ich auch gar nicht als verzicht. sahnetorte ist mir eh zu reichhaltig, wurst mochte ich noch nie, und auch steak oder hähnchen hab ich nie gegessen.
    und als ich daheim ausgezogen bin hat mir auch niemand gesagt „aber dann kannst du ja nie wieder die wäsche einfach in den wäschekorb schmeißen, und zwei tage später liegt sie wie von selbst gebügelt und gefaltet im schrank, sondern musst immer selbst waschen!“
    man verzichtet immer auf etwas, wenn man sich für eine sache entscheidet, weil man sich automatisch gegen etwas anderes entscheidet.
    esse ich sahnetorte, verzichte ich auf eine gute figur. trinke ich abends alkohol, verzichte ich auf kopfschmerzfreies aufstehen. tanze ich die nacht durch, verzichte ich auf schlaf. arbeite ich, verzichte ich aufs studieren. studiere ich, verzichte ich auf die sicherheit, die eine arbeit bietet.
    und das gute gefühl, dass eine vegane lebensweise schafft, ist es allemal wert, nicht immer und überall die volle auswahl an nahrung zu haben.

  2. Finde ich toll geschrieben – gefällt mir! Genauso ist es nämlich, dass viele denken, wir Veganer verzichten auf so viel. Es sieht nur leider immer so aus, dass wir auf so viel verzichten, wenn wir zu Besuch sind und es „normales Essen“ gibt oder wir in einem Restaurant (das wir nicht selbst ausgesucht haben) unsere Extrawünsche aufgeben.
    Auch mit der Speisekarte sprichst Du mir total aus der Seele – wer braucht schon 30 Gerichte zum Auswählen – drei tun es doch auch?
    Und wenn meine Lebensweise als Verzicht verstanden wird, verzichte ich gerne! Wie Mausflaus schon sagt – dafür verzichte ich auch gerne auf ein erhöhtes Risiko auf Übergewicht, Diabetes & Co.
    Viele Grüße
    Katrin

  3. Ich verzichte auf die Unfreiheit, Freiheit ist es, die wunderbare Leichtigkeit des Gleitens durch unsere Lebenszeit nicht durch die Kollaboration am täglichen Verbrechertum zu schänden.

    Das Leben gibt uns die Liebe, wir müssen es nicht vergewaltigen, nein, wir müssen es nur respektieren, betrachten, bewundern und achten.

    Mir scheint – hier hat eine junge Frau für sich die Freiheit des Seins entdeckt – Glückwunsch!

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