Mein Feind, die Weißwurst

/Eigentlich dachte ich, ich käme drum herum. Falsch gedacht! Am letzten Faschingstag, nämlich am Dienstag, bekam ich doch noch meine jecke Portion. Gefreut hat mich das nicht, aber immerhin bin ich nun wieder um eine Erfahrung reicher – dank Leberkäse und Weißwurst.

 

Für mich als Rheinländerin gibt es Fasching ja eigentlich nicht. Wenn überhaupt, feiere ich Karneval. Und ich rufe auch nicht „Helau!“, sondern „Alaaf!“. Bei mir ist das wahrscheinlich keine Frage der Tradition, sondern der Gewohnheit. Doch nicht nur deswegen wollte ich Karneval in diesem Jahr ausfallen lassen. Mir stand einfach nicht der Sinn danach – soll vorkommen.

Kurz und unauffällig

Kein Problem. Der Samstag und der Sonntag verliefen wunderbar ruhig und ohne karnevalistische Zwischenfälle. Selbst am Rosenmontag blieb ich verschont. Doch am Dienstag wagte ich es und besuchte eine Veranstaltung in der Redaktion. Ich wollte mir das bunte Treiben einfach mal anschauen, ganz kurz und ganz unauffällig. Zumal ich diesen Teil der Redaktion noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

Das mit dem kurzen Besuch klappte auch wunderbar. Eine gute halbe Stunde war ich dort. Unauffällig war ich erst mal nicht – schließlich kam ich ohne Kostüm. Und ich war wahrscheinlich die einzige, die sich nicht umgehend auf’s Essen stürzte. Denn es warteten nicht nur einige Fässer Bier, auch Unmengen an Leberkäse, Weiß- und Brühwürstchen wollten verzerrt werden. Morgens um halb elf. Ich traute meinen Augen kaum. Überall um mich herum saßen die Menschen und schoben sich einen Fleischklops nach dem anderen in den Mund. Die Laugenbrezel schaffte es höchstens zur Beilage.

Kein unkontrollierter Ekel

Normalerweise habe ich kein Problem damit, wenn Menschen in meiner näheren Umgebung Fleisch essen. Zwar reizt mich der Blick in die Fleischtheke im Supermarkt nicht, aber mich überkommt auch kein unkontrollierter Ekel. Man kann sogar mit einer Scheibe Wurst direkt vor meiner Nase rumhantieren. Auch wenn ich um die blutigen Schlachtszenen weiß, die sich tagtäglich in deutschen Schlachthäusern abspielen – übergeben muss ich mich deswegen nicht. Aber als ich dort zwischen all den kostümierten Würzburgern stand, die – wahrscheinlich auf leeren Magen – sehr zügig die Fleischvorräte vernichteten, fühlte ich mich zum ersten Mal richtig unwohl.

Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass die unzähligen Würstchen und Leberkäs-Scheiben nur ein Bruchteil dessen sind, was tagtäglich über die Ladentheke wandert:

2009 hat der Deutsche im Schnitt 88 Kilogramm Fleisch gegessen. Drei Jahre zuvor meldete das Statistische Bundesamt: Im dritten Quartal 2006 wurden in Deutschland knapp 1,7 Millionen Tonnen Fleisch gewerblich produziert, darunter 254.000 Tonnen Geflügelfleisch. Insgesamt wurden rund 12,4 Millionen Tonne Schweine, 809.000 Rinder (ohne Kälber), 76.000 Kälber sowie 238.000 Schafe gewerblich geschlachtet.

Diese Zahlen sind zwar erschreckend, aber abstrakt. Meistens lese ich sie und vergesse sie schnell wieder – im Gegensatz zu den Konsequenzen dieser Statistiken. Die erinnern mich jeden Tag wieder daran, dass es so nicht weiter gehen kann und ich meinen Beitrag zur Veränderung beitragen sollte. Der närrische Dienstag allerdings hat meiner Vorstellungskraft im Bezug auf bloße Zahlen einen enormen Schub gegeben. Jetzt habe ich ein Bild im Kopf, wenn ich das nächste Mal lese, wie viel Fleisch die Deutschen essen. Und dieses Bild ist nicht schön – trotz der Faschingskostüme.

Die typische Antworten

Ich war so geplättet von den vielen Menschen und den vielen Würstchen, dass ich leider nicht auf die Idee kam, mal nachzufragen: Warum essen Sie denn heute so viel Fleisch? Wahrscheinlich hätte ich mich auch gar nicht getraut. In dieser Umgebung eine Diskussion über die Folgen des Fleischkonsums anzufangen, ist wirklich nicht leicht. Zumal solche Konfrontationen in den meisten Fällen zu nichts führen – insbesondere wenn Alkohol und Partystimmung im Spiel sind. Deswegen kann ich nur mutmaßen, was mir die Narren in dieser Situation geantwortet hätten:

1.      Antwort: Weil das schon immer so war.

2.      Antwort: Weil es so gut schmeckt.

3.      Antwort: Warum denn nicht?

Warum diese Argumente nicht besonders stichhaltig sind, muss ich wohl nicht noch begründen. Umso schlimmer, dass sie ausreichen. Umso schlimmer, dass so wenige sie in Frage stellen. Und umso schlimmer, dass man sich selbst ins (gesellschaftliche) Abseits stellt, wenn man darauf hinweist. Schließlich versaut man seinen Mitmenschen damit ja den Spaß an der Freud.

Meine 88 Kilogramm Fleisch

Ich habe an diesem Tag niemandem den Spaß verdorben. Höchstens mir selbst. Denn natürlich quälten mich wieder die üblichen Fragen: Was bringt es eigentlich, dass ich vegan lebe? Nützt es etwas, dass ich keinen Leberkäse gegessen habe? Über meine durchschnittlichen 88 Kilogramm Fleisch pro Jahr freut sich doch längst jemand anders, oder?

14 Kommentare zu „Mein Feind, die Weißwurst

  1. Gut dass du keine Diskussion angefangen hast… Das einzige wirkliche Argument der Fleischfraktion ist nun mal der Geschmack. Also bedient man sich diverser Pseudo-Argumente (Gesundheit, Evolution etc.) um nicht ganz doof da zu stehen. Appelle an den gesunden Menschenverstand führen da ins Leere.

    Apropos Karneval und Spass an der Freud:

    1. Aber genau das ist es. Darin besteht äh bestand doch der ganze Sinn des Karnevals oder Fasching oder wieauchimmer: Vor der ollen Fastenzeit nochmal ordentlich über die Stränge schlagen, Spaß haben, viel trinken und sich noch mal so richtig den Bauch vollschlagen.

      Sich dann nochmal ein Stück Fleisch gönnen wäre ja in Ordnung, wenn man danach auch wirklich fasten würde…

      1. Ja, fasten ist natürlich auch so eine Sache. Ich finde gut, wenn Menschen mal bewusst auf eine Sache verzichten und sie dann wieder zu schätzen wissen. Aber ich glaube, der Effekt hält meist nicht besonders lange. Außerdem ist Fasten von vorneherein auf eine bestimmte Zeit begrenzt. Es unterstützt die Auffassung, dass man Vegetarismus/Veganismus „erleidet“ oder „aushalten muss“. Es ist eine Art Opfer. Dabei ist es das ja eigentlich nicht….

  2. Diese Frage stellt sich wohl jeder, der auf Fleisch verzichtet. Manche gelegentlich, manche jeden Tag. Diese Menschen wollen so leben. Ob das nun richtig ist oder falsch, darüber denken die meisten Menschen sowieso nicht nach. Nicht nur beim Konsum von Fleisch, sondern bei eigentlich allen Dingen, die einen Bezug zur Natur oder zu Mitmenschen haben. Das bringt uns natürlich nicht weiter, im Gegenteil. Wie du siehst wirft es dich in deiner Entwicklung eher zurück. Aber das sollte es nicht. Deine Entscheidung, vegan zu leben, ist richtig. Sie wird nicht dadurch falsch, weil ein Großteil der Menschen nicht so denkt. Gerade nicht bei diesem Thema. Sie denken nämlich nicht, sie handeln zur Befriedigung ihrer kurzfristigen Trieben. Und dazwischen liegt m. E. nach ein gewaltiger Unterschied

    1. @nichtmeinemeinung: Danke für den Kommentar! Ich glaube, wirklich zurück wirft es mich in meiner Entwicklung zum Glück nicht. Solche Zweifel kommen zwar hin und wieder auf – aber sie verschwinden auch immer wieder. Aufl lange Sicht gesehen bestärken mich solche Erfahrungen wohl eher. Nur der erste Schock sitzt manchmal tief ;)

  3. Wie schade, dass man die Kommentare hier gar nicht lesen kann – in einer (heute meist verwendeten) Bildschirmauflösung von 1280 Pixel (Breite) ist die Kommentarschrift nur noch im Fliegenschiss-Format. Und dann auch noch grau auf dunkelgrau….

    Finde ich wirklich bedauerlich, weil ich dein Blog gut finde!

    1. Die Taste „Strg“ halten und dann das Scrollrad der Maus nach oben bewegen. Hilft immerhin gegen das Fliegenschiss-Format.

      1. Außerdem noch den Text mit der Maus markieren bzw. Strg + A , dann iist es blau auf weiß…

        Trotzdem finde ich den Farbkontrast auch nich besonders, trägt nicht besonders zur Barrierefreiheit bei. Und du willst doch sicher niemand durch das Layout vom lesen abhalten, oder?

  4. Echt? Ich empfinde entwer das Gefühl von Überlegenheit oder verzweifle an den Gedanken an die armen Tiere. Aber an meiner Einstellung habe ich eigentlich noch nie gezweifelt – im Gegenteil. Alles was ich weiß und zu diesem Wissen empfinde, stärkt mich nur.
    Man muss sich mal überlegen, welchen Dreck sich die Leute da reinstopfen und was das für ihren Körper bedeutet. Nein, da kommen bei mir keine Zweifel auf.

  5. Ich kann Yv nur Recht geben – wenn ich meine Kollegen beim Essen sehe (bei besonderen Gelegenheiten gibt’s 1-2x pro Monat bei uns Catering) – und sie essen dann immer viel Fleisch und Fisch – fühle ich mich eher überlegen. Seit ich dort arbeite, wird jetzt immer extra etwas veganes bestellt, nicht nur für mich, aber weil immer mehr Leute sehen, dass vegan nicht „geschmacklos“ heißt. Ich finde, ein Kollegenkreis kann auch ein schöner Anlass sein, andere Leute ein wenig anzustecken, wobei ich mir bewusst bin, dass ich keinen von denen zum Vegetarier oder gar Veganer mache.
    Und wenn es wie Du beschrieben hast fast nur Fleisch gab, dann greifen viele einfach ohne zu Überlegen zu – gerade wenn man eingeladen ist.
    Und bitte nicht den Mut verlieren – es bringt viel, denn wir werden mehr :-)

    1. Mit dem Zweifel meinte ich auch eher, dass ich mich frage, ob es etwas bringt, dass ich vegan lebe. An der Lebensweise an sich zweifle ich nicht. Aber vielen Dank für die bestärkenden Worte, ihr beiden! :)

  6. Mein Lieblings-„Argument“ is ja immer noch „Das is halt die Nahrungskette“. – Find ich cool, alle Frauen wieder an den Herd, hat früher doch auch wunderbar funktioniert!

    Ja, klar, ich bin n Kerl, und das „Argument“ kam von nem Mädel. Mag auch etwas hinken, der Vergleich, wird aber find ich noch deutlich getoppt von der ursprünglichen Aussage…

    Ich glaub auch kaum, dass jemand, der sich vor der Wurst ekelt, Rückfallgefährdet is.
    Ansonsten weißte ja: „Wenn vieler kleine Menschen..“ und so :)

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