Oh ja, da war sie wieder groß die Empörung. 82 Kilo Lebensmittel wirft jeder Deutsche jedes Jahr im Müll – so lautete die Hiobsbotschaft der Uni Stuttgart, mit der Verbraucherministerin Ilse Aigner diese Woche für Furore sorgte. Die Medien griffen das Thema alle auf (siehe Links unten). Und alle schütteln ganz energisch mit dem Kopf. Wie kann das nur sein? In Afrika hungern schließlich so viele Menschen. „Das ist doch schlimm!“ sagt ein jeder – und lebt trotzdem weiter wie zuvor. Denn so schnell, wie solche Erkenntnisse aufkommen, so schnell sind sie auch wieder vergessen. Und der tägliche Skandal geht weiter.
Es will nicht in meinen Kopf
So wie in der eigenen Kantine. Ich bin dort ein sehr seltener Gast – eigentlich wegen des Speiseplans und der Öffnungszeiten. Doch es gibt noch einen weiteren Grund: Wut. Für viele ist es wahrscheinlich eine Kleinigkeit, aber sie ist einfach so bezeichnend: Mindestens jeder dritte oder vierte Teller ist hier nicht leer, wenn er beim dreckigen Geschirr landete. Da ein paar Löffel Reis, dort die Portion Nudeln, hier das halbe Stück Fleisch – sogar der selbst zusammengestellte Salat bleibt zeitweise stehen. Es will mir einfach nicht in den Kopf: Warum muss das sein?
Portion und Geschmack sind kein Argument
Ist es die Größe der Portion? Ich wage es zu bezweifeln, schließlich gönnen sich viele danach doch noch ein Dessert. Und selbst wenn man sich mal ein wenig verschätzt hat, machen die paar Bissen den Braten doch auch nicht fett, oder? Ich weiß nicht, ob es an meiner Erziehung liegt oder daran, dass ich einfach gerne esse. Aber ich kann so gut wie nie etwas übrig lassen – außer mir wird aus irgendwelchen Gründen übel. Anderen fällt das offensichtlich sehr viel leichter. Liegt es am Geschmack? Mag ja sein, dass die Kantine nicht immer ein hochkarätiges Menü zaubert – aber so schlimm, dass es nicht genießbar wäre, ist es wohl kaum. Außerdem kann man meiner Meinung nach meist vorher abschätzen, was einem persönlich mundet. Und: Wer sich ständig über das Essen der Kantine beschwert, sollte vielleicht über Alternativen nachdenken, anstatt die Hälfte wegzuschmeißen. Es gibt wirklich keinen Grund, ständig einen halb vollen Teller zurückzugeben. Es muss einfach nicht sein.
Zwei Drittel des Mülls wären vermeidbar
Und trotzdem passiert es tagtäglich. Nicht nur in Kantinen und Mensen, vor allem in Privathaushalten landen Unmengen an Lebensmitteln im Müll. Schätzungsweise zwei Drittel davon wären vermeidbar. Vieles könnte man noch verwenden. Doch was passiert? Rufe nach Aufklärungskampagnen werden laut. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist in der Diskussion. Die Supermärkte geraten in die Kritik, weil sie noch bis spät abends mit vollen Regalen auftrumpfen. Weil alles billig und jederzeit verfügbar sein muss.
Schön und gut, aber was ist mit uns? Wer kauft denn das alles? Die Verantwortung auf Discounter und Politiker abzuwälzen, ist zu einfach. Ein großer Teil dieser Verantwortung liegt bei uns: den Verbrauchern. Warum fangen wir nicht erstmal bei uns selbst an? Warum lassen wir der Empörung über 82 Kilo Lebensmittel-Müll nicht Taten folgen und kaufen nur noch das ein, was wir wirklich brauchen? Nehmen auch mal einen Apfel mit Beule mit nach Hause? Und essen endlich unsere Teller leer?
Hauptsache der Bauch ist voll
Die Frage klingt naiv. Und ich käme mir auch ein wenig dumm vor, wenn ich in der Kantine stünde und jeden Teller am Ende kontrollieren würde. Dabei wäre das wohl genau die richtige Maßnahme. Das Thema muss angesprochen werden, auch wenn man dem ein oder anderen dabei auf die Füße tritt. Es kann nicht sein, dass ich Hemmungen habe, meinen Mitbewohner anzumeckern, weil sein Brot schon wieder schimmelig geworden ist. Nur weil ich pingelig oder überempfindlich wirken könnte.
Es ist eine Schande, so viel wegzuschmeißen – im Kleinen wie im Großen. Und das muss man aussprechen. Nicht nur, wenn Ilse Aigner sich das Thema für ein paar Tage auf die Fahne schreibt. Denn ihre Pläne, Verbraucher über das Mindesthaltbarkeitsdatum aufzuklären, werden das Problem kaum lösen. Das liegt nämlich nicht in erster Linie in der Unwissenheit der Konsumenten, sondern in ihrem Verhältnis zu Lebensmitteln. Sie werden nicht mehr wert geschätzt. Sie werden nur noch selten selbst zubereitet. Sie werden produziert unter Bedingungen, die mehr als kritikwürdig sind, aber leider niemanden interessieren. Hauptsache der Preis stimmt – und der Bauch ist voll.
„Wir essen zu billig und denken zu wenig über unser Essen nach. Das ist der eigentliche, der permanente Lebensmittelskandal.“
Das schreibt der FAZ-Autor Jakob Strobel y Serra in seinem „Aufschrei am Rande der Verzweiflung„. Der Artikel nimmt kein Blatt vor den Mund und führt den Deutschen die eigene Geschmacklosigkeit vor Augen. Auch wenn er dem Vegetarismus nicht zugesteht, eine mögliche Lösung zu sein, spricht er mir in meinem Moment der Wut aus der Seele. Nicht einzelne Skandale oder überhöhte Grenzwerte sind das Problem – es ist die Gleichgültigkeit, mit der wir unseren Nahrungsmitteln und der industriellen Produktion gegenüber stehen. Wir müssen uns wieder interessieren für das, was auf unserem Teller landet. Unsere Verantwortung anerkennen und Mut zur Selbstkritik haben. Und wir sollten uns wieder aufregen – und zwar über die grundlegenden systemischen Missstände, nicht über eine Zeitungsmeldung, die in zwei Tagen vergessen ist.
Zum Weiterlesen:
BMELV-Studie über Lebensmittelabfälle in Deutschland
Artikel in der taz und in der Main-Post
Ministerin Aigner fordert Ernährungsunterricht
Blog-Artikel zum Film Taste the Waste
Zum Ausprobieren:
Der Resterechner zeigt, was in unserem Essen steckt: Jede Menge Energie und nicht selten eine hübsche Summe Geld. Einfach ein Nahrungsmittel auswählen, in die Tonne werfen – und überraschen lassen!
Fotos: BMELV
Also ich frage mich ehrlich, wer so viel wegwirft?!?
Im Restaurant esse ich sogar die Salatdeko mit auf und wenn ich was nicht mehr aufbekomme, findet sich mein Mann oder ein Bekannter, der noch ein Plätzchen im Bauch aufbieten kann.
Daheim werfen wir nur das Tomatengrün, die Bananen-/Orangenschalen, die Ananashaut+Strunk usw. weg. Also den ungenießbaren Teil der Produkte. MHD-Ware hat man als (Roh-)Veganer eher selten im Haus. Bleibt etwas gekochtes über, wird es am nächsten Tag einfach mitverwendet.
Wer wirft also unsere 164kg zusätzlich mit weg?!?
Wahnsinn. Die Leute werden es erst zu schätzen wissen, wenn es uns hier in GoodOldGermany mal dreckig geht…
Eine traurige Auriel…
Ich muss leider gestehen, dass meine Familie sehr viel wegwirft, obwohl ich immer fleißig am Meckern bin.
Aber das mit den Skandalen, die schnell vergessen sind regt mich auch auf…genau das gleiche Spiel bei Wiesenhof. Sollens doch die Betreiber, Angestellten und Politiker regeln, man selbst wolle ja schließlich nur ein einwandfreies Produkt. Dass man als Verbraucher ebenso mit verantwortlich ist, schnallen viele Menschen einfach nicht.
mit „den teller leer essen“ löst man das problem aber auch nicht. denn wenn das essen auf den hüften statt im müll landet ist auch niemandem geholfen. ich finde es braucht kleinere portionen – mir ist ein normales gericht meistens einfach zu viel. wenn einem was aufgetan wird, kann man ja sagen „das reicht schon, danke“, aber im restaurant kommt dann einfach die riesen-pizza wo ich von vornherein weiß dass ich grad mal die hälfte ess. ich bestell mir dann meistens ne vorspeise und vllt. noch nen beilagensalat.