Frage ohne Antwort

Ich muss zugeben, es fällt mir auch nicht leicht. Auch ich bin auf der Suche nach Antworten. Nach Alternativen, die eine Perspektive haben. Nach Lösungsvorschlägen, die Schritt für Schritt umsetzbar sind. Aber im Moment müssen wir uns wohl damit abfinden, dass es noch keine Patentlösungen gibt. Sie müssen sich erst noch entwickeln – und daran können wir arbeiten, vor allem im Kleinen.

Es gibt keine klaren, konkreten Forderungen, mit denen sich jeder Mensch – ob er sich bei Occupy, Attac oder in der Umweltbewegung engagiert – identifizieren kann. Jeder hat wohl seine eigene persönliche Vision von einer besseren Welt. Das ist keine Schwäche der Bewegung – man muss sich nur erst daran gewöhnen.

Viele neue Gesichter

Diesen Prozess, sich von alt hergebrachten Strukturen und Gewohnheiten zu lösen, konnte ich bisher bei jeder unserer Asambleas beobachten. Inzwischen haben wir uns darauf geeinigt, uns jede Woche zu treffen. Immer donnerstags sitzen wir beisammen und versuchen, die Würzburger Occupy-Bewegung irgendwie voranzubringen: mit gemeinsamen Entscheidungen und Gesprächen, mit Arbeitsgruppen, die Aktionen und Inhalte ausarbeiten und mit dem Vertrauen, dass alle gemeinsam etwas verändern wollen. Drei Mal hat unsere Asamblea bisher stattgefunden, jedes Mal in anderer Besetzung und an einem anderen Ort. Letzteres soll sich in naher Zukunft ändern, wenn es endlich warm wird und wir uns mitten in der Stadt versammeln können, um möglichst viele Leute zu interessieren und zu erreichen. Neue Gesichter hingegen sieht man natürlich immer gerne.

Der rechteste Linke

Letzte Woche saßen wir abends um ein Lagerfeuer herum. Die Atmosphäre konnte sich auf jeden Fall sehen lassen. Ein bisschen Revolution lag da schon in der Luft. Kein Wunder also, dass auch ein junger Anwohner sich fragte, was wir da eigentlich treiben und sich zu uns gesellte. Er selbst charakterisierte sich als der „rechteste Linke, den es gibt“. Er symphatisiere entfernt mit der Occupy-Bewegung und hatte offenbar schon einiges darüber gelesen und gehört. Dabei stellte er sich immer wieder die gleichen Fragen: Was wollen diese Menschen? Was fordern sie? Welche Ziele haben sie? Diese Fragen stellte er denn auch uns, womöglich stellvertretend für alle Gruppen, die derzeit weltweit aktiv sind. Eine schwierige Angelegenheit.

Keine Ideologie

Zwar kam das Thema in letzter Zeit immer wieder auf und die Rufe nach einer stärkeren inhaltlichen Auseinandersetzung und einer eigenen Würzburger Resolution wurden laut. Aber natürlich gibt es noch keine fertigen Antworten, die wir einfach so herunter rattern könnten, wenn jemand Neues hinzukommt. Das ist auch nicht das Ziel. Vielmehr soll sich jeder einbringen können mit seinen Ideen, Vorstellungen und Überzeugungen. Es gibt keine vorgefertigte Ideologie, hinter der wir alle stehen – und der sich jeder fügen muss. Es gibt keinen Chef, der eine Richtung vorgibt. Es gibt nur uns, so unterschiedlich wie wir sind. Und das ist gut so.

Gemeinsame Richtung

Trotzdem ließ der junge Mann nicht locker. Verständlicherweise – ich konnte mich mit solchen Antworten zu Beginn auch nicht anfreunden. „Das ist doch alles viel zu unkonkret, so wird das doch nie was“, dachte ich. „Wenn wir nicht wissen, was wir wollen und wo wir hinwollen, wenn wir kein klares Ziel haben, dann erreichen wir gar nichts.“ Aber so ist es nicht. Die Bewegung hat schon einiges erreicht. Ich hatte das Glück, zu erleben, dass es funktionieren kann – und das es von Vorteil sein kann, den Weg nicht im Voraus festzulegen. Es gibt vielleicht eine Richtung, auf die sich alle mehr oder weniger geeinigt haben, mehr nicht. Und diese Richtung heißt: Veränderung hin zu einer besseren, gerechten Welt.

Kein Adressat für Forderungen

Um seinem Anliegen trotzdem irgendwie gerecht zu werden, machten wir eine Art Vorstellungsrunde, bei der jeder kurz erklären konnte, warum er an den Treffen teilnimmt und welche Themen ihm am Herzen liegen. Von der Forderung nach mehr Demokratie, über die aktuelle Situation in Griechenland, bishin zu Asyl- und Umweltpolitik war so gut wie alles dabei. Schnell ging es darum, dass wir keine Forderungen stellen können/wollen, weil es im Grunde keinen wirklichen Adressaten gibt. Von wem wollen wir etwas fordern? Von den Politikern? Von der Finanzwirtschaft? Von dem reichsten ein Prozent der Bevölkerung? „Nein, ich will mich nicht besser regieren lassen“, brachte es einer von uns auf den Punkt. „Ich will wieder selbst Verantwortung übernehmen.“ Die Verantwortung des Einzelnen – ein wichtiges Stichpunkt. Das würde auch ich sofort unterschreiben. Wir können nicht mehr ausklammern, was um uns herum und in der Welt geschieht. Einfach unser Leben leben ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Zumal ich auch hier – wo auf den ersten Blick noch alles gut ist – immer häufiger auf unglückliche, unzufriedene Menschen treffe.

Wut im Bauch

Schon bevor ich an der Reihe war, meinen eigenen Standpunkt kurz zu erklären, klopfte mein Herz wie wild. Ich bin nicht sicher warum. Es ist einfach so unglaublich schwierig, alles, was mir momentan mehr oder weniger täglich durch den Kopf geht, schlüssig zusammenzufassen. Es gibt so viel zu tun. Es liegt so viel im Argen – und jeden Tag entdecke ich etwas Neues. Da sind die aktuellen Entwicklungen in Europa, die kaum mehr demokratisch legitimiert sind und zum Beispiel in Griechenland Tausende von Menschen in die Armut stürzen, obwohl sie im Grunde keine Schuld an der Misere tragen. Da sind die Zerstörung und die Ausbeute der Umwelt, die trotz aller mahnenden (wissenschaftlichen) Worte immer weiter gehen. Da ist ein Wirtschafts- und Finanzsystem, das scheinbar über allem steht, obwohl es offensichtlich den falschen Zwecken dient: Statt sich am Gemeinwohl auszurichten, sorgt es für eine stetig wachsende Ungerechtigkeit. Eine Milliarde Menschen hungert. Täglich sterben Flüchtlinge im Mittelmeer. Überall werden Kämpfe ausgetragen, in denen es zwangsläufig Verlierer gibt: Nord gegen Süd, Arm gegen Reich, Mensch gegen Umwelt, Mensch gegen Mensch. Und das kann nicht sein.

Grundlegende Veränderung

So geordnet und strukturiert wie hier konnte ich meine Gedanken in der Asamblea natürlich nicht vortragen. Spontan ist das nicht immer ganz so einfach. Schon nach meinem ersten Besuch in Frankfurt habe ich einmal versucht, meine „Vision“, meine Ziele und meine Anliegen zu verschriftlichen. Das Ergebnis war ein vollgekritzeltes Blatt, das meine Gedanken zumindest halbwegs ordnete. Aber beinahe jeden Tag – so scheint es zumindest – kommen wieder neue Aspekte hinzu durch Zeitungsartikel, Videos sowie Gespräche und Diskussionen. Eins wird dabei immer wieder deutlich: Es braucht eine ganzheitliche Lösung, eine grundlegende Veränderung. Denn alle Probleme hängen im Grunde miteinander zusammen.

Der Weg ist das Ziel

Ein hehres Ziel, ich weiß. Aber nur weil es unrealistisch erscheint, ist es nicht unmöglich. Und vor allem ist das kein Grund, nicht dafür zu kämpfen. So wie es ist, kann es definitiv nicht weiter gehen. Und selbst wenn nicht von heute auf morgen alle Probleme gelöst werden, kann man zumindest versuchen, die Veränderung anzustoßen. Noch nie hat für mich das Sprichwort „Der Weg ist das Ziel“ so viel Sinn gemacht. Wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen, mit unseren persönlichen Anliegen und Visionen, werden sich Lösungen entwickeln. Und auf alle Fragen werden sich früher oder später Antworten finden. Weil sie gebraucht werden.

3 Kommentare zu „Frage ohne Antwort

  1. wieder einmal ein sehr schöner Artikel. Es freut mich immer wenn junge Menschen ihre Bedenken und ihre Kritik an der momentanen politischen,, sozialen und wirtschaftlichen Situation Eloquent zum Ausdruck bringen. Weiter so! Und ich Stimme dir vollkommen zu. Nur weil man noch nicht die Antworten auf alle Fragen hat, heißt das nicht, das man zu aktuellen Themen den Mund halten soll. Ich denke eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich erkenne das etwas falsch ist, ist es meine Pflicht darauf hinzuweisen. Wenn man das nicht tut, handelt man wie in vielen Religionen weltweit. Man glaubt, man nimmt hin, und spricht sich selbst Kompetenz ab. Stattdessen sollte man es halten wie in der Wissenschaft. Hier ist der Satz:“ich weiß es nicht.“ Grundvoraussetzung. Ohne die Akzeptanz dieses Grund Prinzips ist wissenschaftliche Arbeit gar nicht vorstellbar, wobei mit diesem Satz nicht die Möglichkeit des nicht-Wissens fundiert wird, sondern lediglich die Basis bereitet wird ,wissen zu erlangen, neues zu entdecken. Er ist die Grundlage jeglicher wissenschaftlicher Arbeit, und vielleicht auch der Wegbereiter für eine neue soziale und wirtschaftliche Gesellschaftsordnung. Weiter so Regine!

    1. Ich denke da vor allem an die zwei großen Konferenzen und den Demos in Frankfurt, bei denen ich dabei war (siehe auch „Ohne Mampf, kein Kampf„, „Umzingelt sie!“ und „Was den Menschen gut tut„). Dort wurde meist sehr produktiv gearbeitet und das Ergebnis sind jetzt zum Beispiel die geplanten „Maifestspiele“ vom 16. bis 19. Mai. Abgesehen davon, hat die Bewegungs es irgendwie geschafft, ein Gefühl in die Öffentlichkeit zu tragen, das sich vorher nur schwer greifen ließ. Sie hat einen Stein ins Rollen gebracht.

      Aber auch in Würzburg hat schon erstaunlich viel entwickelt, wie ich finde. Schon allein, dass wir uns gefunden haben (wir kannten uns nicht alle vorher), uns jetzt regelmäßig treffen und nicht immer nur fünf Leutchen dabei sind, sondern mindestens 20/25. Wir haben uns einiges vorgenommen für die nahe Zukunft. Was daraus wird, werden wir sehen. Aber ich bin da optimistisch.

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