Wo sind die Demokraten?

Es war schon irgendwie enttäuschend. Natürlich hatte ich nicht mit Massen gerechnet, aber ein paar Zuhörer mehr hätte ich mir schon gewünscht. Leider saßen schlussendlich nur knapp 15 Leute auf ihren Plätzen, als Tine Steininger mit ihrem Vortrag startete. Die Berliner Studentin gehört zum Koordinierungskreis von Attac – so etwas wie das zentrale bundesweite Organ, das Attac nach außen vertritt. Sie sprach in Würzburg über die Ursachen und den Verlauf der Eurokrise, mögliche Lösungen und Alternativen und zu guter Letzt auch über die geplanten Mai-Aktionstage in Frankfurt.

Gefährliche Verdrossenheit

Vielleicht hatten wir zu wenig Flyer verteilt? Zu wenig Werbung gemacht? Die gesamte Organisation des Abends war relativ kurzfristig, aber ich hatte eigentlich das Gefühl, alle möglichen Werbetrommeln so gut es ging gerührt zu haben. Vielleicht war es auch das gute Wetter? An einem wunderschönen Frühlingstag wie vergangenem Mittwoch ist die Motivation, sich in einen Buchladen zu setzen und die aktuelle EU-Krisenpolitik zu diskutieren, womöglich nicht allzu groß. Vielleicht hatten die Leute auch einfach keine Lust auf Attac? Manchmal scheint es mir, als hätten inzwischen nicht mehr nur die Parteien, sondern auch der zivilgesellschaftliche Sektor irgendwie mit Verdrossenheit zu kämpfen.

Subjektiver Erfolg

Wie dem auch sei: Die Arbeit, die dem Vortragsabend vorausging, stand im Nachhinein in keinem Verhältnis zum Ergebnis – zumindest objektiv gesehen. Subjektiv ging ich danach trotzdem zufrieden und motiviert nach Hause. Die kleine Runde war angenehm und spannend – vor allem die anschließende Diskussion hat mich mit neuem Denkstoff versorgt, vor allem was die Themen Mobilisierung und Demokratie angeht. Außerdem hat sie mir wieder mal vor Augen geführt, wie wichtig es ist, Mitte Mai ein Zeichen zu setzen gegen die undemokratische Entwicklung in Deutschland und der EU.

Bloße Machtdemonstration

So blöd und hedonistisch es klingen mag: Ich hab Bock! Zusammen mit möglichst vielen Menschen aus ganz Europa werden wir mit Zelten nach Frankfurt fahren, im Bankenviertel kampieren, laut sein, protestieren und blockieren. Die Organisatoren rechnen bisher mit mehreren zehntausend Teilnehmern. Noch legt die Stadt dem Ganzen rechtliche Steine in den Weg, aber ich bin sicher, dass diese bloße Machtdemonstration die Aktivisten nicht aufhalten kann.

Überblick verschaffen

Doch zurück nach Würzburg: Tine Steininger brachte die wichtigsten Punkte der Eurokrise auf den Tisch und führte uns allen noch einmal vor Augen, was eigentlich falsch läuft. Diejenigen, die gekommen waren, um sich einfach mal „einen Überblick zu verschaffen“ und „eine andere Sichtweise als die der Medien“ zu hören, wurden in ihren Erwartungen nicht enttäuscht.

Mut und Geduld

Für mich waren die meisten Fakten nicht neu – zum Glück. Anscheinend bleibt doch das ein oder andere hängen, wenn ich Zeitungsartikel und Bücher lese. Das beruhigt mich ungemein, habe ich doch oft das Gefühl, vor lauter Informationen und Argumenten den Überblick zu verlieren und vieles wieder zu vergessen. Doch inzwischen fügen sich die einzelnen Aspekte immer häufiger ineinander. Es ist wohl doch nicht unmöglich, zumindest ansatzweise zu verstehen, was momentan vor sich geht. Man muss sich nur trauen und ein wenig Geduld mitbringen.

Der Alltagstrott geht weiter

Leider ist genau das viel zu selten der Fall. Das konnte man nicht nur daran ablesen, wie wenige zum Vortrag gekommen waren. Auch in der anschließenden Diskussion kam schnell die Frage auf: Was bringt das alles eigentlich? Was nützt es, wenn ein paar Leute demonstrieren? Der Alltag läuft doch weiter wie bisher. Wirklich ändern tut sich nichts…

Demokratie ohne Demokraten?

Ein wenig trafen hier jugendlicher Aktionismus und Altersweisheit aufeinander. Während die einen gerade beginnen, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen und von ihren Rechten (und Pflichten) als Bürger tatsächlich Gebrauch zu machen, haben die anderen schon zu oft erlebt, wie Menschen sich in undemokratischen Strukturen einrichten und sich daran gewöhnen, dass andere für sie die Entscheidungen treffen. Aber sind die Menschen tatsächlich so undemokratisch? Auch in Zeitungsartikeln traf ich schon auf die These, dass wir – ähnlich wie in der Weimarer Republik – wieder in einer Demokratie ohne Demokraten leben.

Es braucht neue Möglichkeiten

Ich möchte das so nicht stehen lassen. Eine solche Sichtweise raubt nämlich viel Gestaltungsspielraum und lähmt pauschal jeden Veränderungswillen. Ich glaube, dass die Demokraten im Volk sehr wohl noch vertreten sind. Sie müssen aber vielleicht zu neuem Leben erweckt – und dafür eignen sich Aktionen wie „Blockupy Frankfurt“. Es braucht neue Möglichkeiten, aktiv zu werden, sich in demokratische Prozesse einzubringen und sich dabei darüber bewusst zu werden, wie wir eigentlich leben wollen. Natürlich, eine solche Bewegung wird erst einmal nicht von den Massen ausgehen – das braucht mir inzwischen niemand mehr zu erklären. Aber es reicht, einen bestimmten Anteil der Bevölkerung zu erreichen, um etwas zu verändern (irgendwo las ich mal etwas von zehn Prozent).

Zwei Seiten der Medaille

Es ist richtig, dass der Großteil der Menschen noch nichts von der Krise spürt. Der Alltag geht weiter: sie arbeiten, fahren in Urlaub, schauen Fernsehen, gehen in den Biergarten. Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen nicht nur eine Milliarde hungernde Menschen auf der ganzen Welt, sondern unter anderem auch ein Niedriglohnsektor vor der eigenen Haustür, eine Sparpolitik zu Lasten breiter Bevölkerungsschichten und die schleichende Untergrabung der Demokratie durch supranationalen Institutionen, die nicht vom Volk legitimiert sind (z.B. ESM und Fiskalpakt). Auf Dauer lässt sich das schöne Leben der einen Seite nicht von der anderen Seite trennen – auch wenn es den meisten von uns bislang noch verhältnismäßig gut geht. Der Bumerang des deutschen Wirtschaftsbooms ist schon unterwegs, wie der Freitag schreibt.

Gute Gründe

Es gibt gute Gründe, auf die Straße zu gehen. Es gibt gute Gründe, sich endlich zu interessieren und zu informieren. Und es gibt noch mehr gute Gründe, Demokrat/in zu sein.

5 Kommentare zu „Wo sind die Demokraten?

  1. Schade, dass du trennst zwischen „ihr“ und „wir“. Wir gehören schließlich alle zur gleichen Gesellschaft und sollten deshalb auch gemeinsam entscheiden, wie wir leben wollen. Wenn du das Leben in der Demokratie genießt, freut mich das. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass du nicht auch manchmal das Bedürfnis hast, mehr zu tun, als alle paar Jahre wählen zu gehen.

    Mit Krawall haben die Aktionstage im Mai nichts zu tun. Die Organisatoren setzen explizit auf gewaltfreie Protestformen. Und zu der 31M-Demo habe ich ja schon ausführlich Stellung genommen, siehe auch „Ja, ich war in Frankfurt. Aber…“.

    Was sind denn „normale“ Menschen deiner Meinung nach? Ich glaube, dass viele dieser „normalen“ Menschen unzufrieden sind oder sich noch gar nicht bewusst darüber sind, was eigentlich passiert. Aber früher oder später wird das System versagen… und dann ist es zu spät. Und selbst wenn „wir“ unerwünscht sind, steht es uns genauso frei, unsere Meinung zu äußern, wie jedem anderen auch.

  2. Interessant: Wo ist der logische Zusammenhang zwischen a) ich ging nach Frankfurt um friedlich zu demonstrieren (mit mir ca. 5899 andere Menschen), es gab Ausschreitungen von ca 100 Leuten und b) ich stehe immer noch zu meiner Meinung und möchte diese erneut auf friedliche Art und Weise kundtun und deiner Schlussfolgerung, das ich ergo also auf Krawall stehe??? Und seit wann ist man als Bürger der für seine Überzeugung auf die Strasse geht und friedlich demonstriert in diesem Land unerwünscht??? Nur um das hier ganz klar z usagen: Ich bin gegen Gewalt! Das es aber Leute gibt, die da anders denken ist eben Realität. Bei der letzten Demonstration ging die Polizei von 6000 Teilnehmern aus und davon gut 100 Krawallmachern. Das sind 1,7 (aufgerundet) Prozent der Demonstranten. Warum sollten wir uns hier darauf konzentrieren, was diese 1,7% Krawallmacher wollen und nicht darauf, was die friedlichen 98% wollen?

  3. „Es gibt gute Gründe, auf die Straße zu gehen. Es gibt gute Gründe, sich endlich zu interessieren und zu informieren. Und es gibt noch mehr gute Gründe, Demokrat/in zu sein.“

    …Toll geschrieben! Das macht mir richtig Lust, was in Deutschland zu ändern. Sowieso läuft hier meiner Meinung nach, zu vieles zu undemokratisch ab.

    Und btw: ich wäre gerne beim Vortrag gewesen.

    Aber jetzt das Ernüchternde: Wie kann ich demokratisch engagiert sein, wenn ich keine Zeit, beziehungsweise Energie, mehr habe?!
    Gibt es eine Möglichkeit, sich gebündelt und „mal eben auf die Schnelle zwischendurch“ (und am besten noch für Laien) zu informieren? Denn nur mit fachlich fundiertem Wissen kann man auch gegen die, die das Wissen nur für ihre eigenen Zwecke nutzen, vorgehen. Ok, für sowas wird es nicht reichen, aber vielleicht, um andere Leute anzuregen, doch mal über die Politik nachzudenken. Dann kann die Veränderung von denen ausgehen, die Zeit haben. Und ich mach dann mit, wenn ich wieder welche habe. :-P
    Es ist doch egal vom wem was ausgeht, solange es das richtige für das Wohl aller Menschen ist.
    :-)

    1. Natürlich stößt man immer wieder auf die ernüchternde Erkenntnis, dass viele nichts investieren können/wollen in eine demokratische Bewegung. Sei es der Mangel an Zeit, an Interesse, an Wille oder an Optimismus…

      Ich verstehe dein Problem. Mir geht es hin und wieder ja ähnlich. Trotzdem frage ich mich gleichzeitig, in was für einer Gesellschaft wir leben, in der für die Grundlagen des Zusammenlebens keine Zeit mehr bleibt. Und ob das nicht im Grunde so gewollt ist vom kapitalistischen System: Du sollst arbeiten und konsumieren (bzw. arbeiten, um konsumieren zu können, weil du sonst ja nicht viel hast neben der Arbeit) und sonst nichts. Du sollst dich nicht einmischen und etwas verändern wollen, denn das gefährdet den Profit und das Wachstum. Aber das nur als kleines Gedankenspiel…

      Jeder muss für sich seinen Weg finden, mit diesen Fragen/Problemen umzugehen. Ich denke, es gibt durchaus Möglichkeiten, in seinem Leben Prioritäten zu setze und es dahingehend zu gestalten, dass man das Gefühl hat, man setzt seine Zeit richtig ein. Bei mir klappt das zurzeit auch nur mäßig, aber ich bin zumindest auf dem Weg dahin. Wir sind halt zurzeit noch eingespannt in Ausbildung/Studium. Aber man hat im Grunde immer eine Wahl. Und: Wenn man erst mal arbeitet, wird das Problem eher noch schlimmer. Also sollte man sich vllt vorher überlegen, wie man diesen Konflikt für sich lösen möchte und ob man evtl. unkonventionellere Wege im Beruf geht.

      Du hast immerhin schon mal angefangen, die Dinge kritisch zu hinterfragen und dich zu informieren. Weitere Infos zu dem Attac-Vortrag gibt es übrigens hier: attac.de/eurokrise und attac.de/umverteilen.

  4. @ keinewohlstandsmade:

    natürlich haben wir sehr großes glück hier zu leben.
    ohne krieg. ohne hunger.
    aber zu welchem preis?! in den dritte welt ländern hungern die menschen, weil sie von UNS ausgebeutet werden. wir holen uns die ressourcen zu absoluten hungerpreisen und zwingen den leuten dort dann auch noch unseren müll auf…
    wenn das ok für dich ist, dich hier nur um dich selbst zu kümmern und auf andere leute zu sch…en, dann mach das. aber lass andere leute, denen das thema nicht am ar… vorbei geht, etwas daran ändern, sodass ALLE menschen eine chance haben glücklich zu werden!

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