So sieht Demokratie aus

Es war schon eine ungewöhnliche Situation: Plötzlich stand ich dort eingehakt in einer Menschenmenge, umkreist von unzähligen Polizisten und musste mich dagegen wehren, gewaltsam gegen eine Parkbank gedrückt zu werden. Die Beamten standen mir direkt gegenüber, in ihren Gesichtern so gut wie keine Regung. Wenig später stürzte ich bei ihrem Ansturm zu Boden – und damit bin ich im Vergleich zu anderen wohl noch glimpflich davon gekommen.

Friedlicher Protest geplant

In Frankfurt herrschte vergangene Woche Ausnahmezustand – für jeden Einzelnen. Vor lauter Angst und Panikmache vor Blockupy hatte sich die Stadt selbst lahm gelegt, ehe der erste Demonstrant die Stadt überhaupt betreten hatte. Angeblich musste die Stadt geschützt werden vor gewalttätigen Chaoten; selbst das Bundesverfassungsgericht bestätigte die hessische Entscheidung in einem Eilverfahren. Klar, dass die Demo vom 31. März herhalten musste, um diese Vorgehensweise zu begründen. Die Ausschreitungen kamen den Entscheidungsträgern sehr gelegen, um der Bevölkerung weiß zu machen, dass von Blockupy eine riesige Gefahr ausgeht.

Dabei waren die Aktionstage durchweg auf friedlichen Protest ausgelegt: Kundgebungen, Demos, Blockaden und ein breites Kulturprogramm sollten der Unzufriedenheit mit der aktuellen Krisenpolitik auf Kosten der Bürger und dem stetigen Demokratieabbau Ausdruck verleihen. Dank der umfassenden Verbote aller Veranstaltungen gesellte sich zu der bereits mehr als gerechtfertigten Kritik auch noch die Empörung über die Einschränkung der Grundrechte.

Bewegungsfreiheit? Fehlanzeige.

Was eine solche Einschränkung bedeutet, durfte ich in Frankfurt hautnah miterleben. Ich muss zugeben, dass ich bis dato recht jungfräulich war, was Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht angeht. Umso schockierender waren für mich die Ereignisse in Frankfurt. Wegen harmloser Menschen wie mir standen überall Straßensperren, Hundertschaften und sogar Wasserwerfer bereit.

Mit der Räumung des Occupy-Camps der EZB fing es am Mittwoch relativ ruhig an. Die Polizisten trugen uns weg und wir durften gehen. Auf der Straße wurden wir im Anschluss allerdings ständig grundlos kontrolliert, unsere Taschen wurden durchsucht, beinahe hätten sie unsere Schlafutensilien beschlagnahmt. Nach der Besetzung des Paulsplatzes, bei der sich die zu Beginn beschriebene Szene abspielte, folgte am nächsten Tag eine Spontandemo – samt Einkesselung und stundenlangem Gewahrsam. Unsere Personalien wurden aufgenommen, wir erhielten Platzverweise für die gesamte Innenstadt. Inzwischen weiß ich meine Bewegungsfreiheit ganz anders zu schätzen…

Keine inhaltliche Arbeit möglich

An mehreren Orten in Frankfurt fanden zeitgleich Besetzungen und Demonstrationen statt, wohl bemerkt ohne jegliche gewalttätige Ausschreitungen. Es war ein einziges Katz-und-Maus-Spiel. Die Organisation der Tage war unter diesen Umständen natürlich denkbar schwierig. Inhaltliche Arbeit war kaum möglich, dabei bräuchte es so dringend Gegenvorschläge und Alternativen zur aktuellen Politik. Stattdessen mussten wir uns ständig damit auseinandersetzen, wo wir uns aufhalten dürfen, wo wir schlafen können und wann welche Veranstaltung wo (vielleicht) stattfindet.

Während sich Polizei und Stadt jetzt zufrieden auf die Schulter klopfen, weil sie Schlimmeres verhindert haben, verbuchen die Blockupy-Aktivisten ebenfalls einen Erfolg für sich. Trotz ständiger Provokation blieb es friedlich. Es kamen zwar weniger Menschen nach Frankfurt als erhofft – nicht zuletzt wegen des Horrorszenarios, das prophezeit wurde. Dennoch konnten wir ein Zeichen setzen. Mehrere Tage lang hat Deutschland, hat Europa gespannt nach Frankfurt geschaut – und genau diese Öffentlichkeit braucht es. Um tatsächlich etwas zu verändern, braucht es die Kraft und den Willen vieler.

Die Ungerechtigkeit schreit doch zum Himmel

Natürlich gerät man hin und wieder ins Zweifeln. Als mir eine Nacht in Gewahrsam drohte, habe auch ich mich gefragt, ob es das alles wert ist. Mein Leben könnte im Grunde ja so viel einfacher sein. Warum mach ich es mir nicht gemütlich in der Welt des Konsums? Warum nicht einfach die Augen schließen, mein Leben genießen und alles andere vergessen? Meine Nerven würde eine solche Einstellung definitiv schonen… Aber ich möchte nicht untätig daneben stehen, wenn die Welt sich zugrunde richtet, wenn die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit und ein Großteil der Menschen leidet (sei es an Hunger, an Armut, an Krankheit, Einsamkeit oder einer chronischen Sinnkrise).

Das Zentrum der Macht

Blockupy hat bewiesen, dass es sich lohnt, sich nicht einschüchtern zu lassen von Verboten und Misstrauen. Allein die Erfahrung, sich für einige Tage auf ein Minimum an Komfort zu beschränken, den Alltag mal Alltag sein zu lassen, aufeinander aufzupassen, solidarisch zu sein und gemeinsam für eine Sache zu kämpfen, zeigt, was möglich ist. Die Bevölkerung hat sich viel zu lange hinters Licht führen lassen von alternativlosen Konzepten, die von den Profiteuren des Systems propagiert werden.

Die Reaktionen der Stadt zeigen, dass Blockupy den Finger direkt in die Wunde gelegt hat. Die Politik fürchtet die Demokratie, weil sie ihre Pläne durcheinander bringen könnte. Die Bevölkerung wird zum Störfaktor – dabei sollte sie eigentlich das Zentrum der Macht sein. Es ist unser Recht (und auch unsere Pflicht), auf die Straße zu gehen für Demokratie, Gerechtigkeit und Solidarität.

„This is what democracy looks like!“

Zum Weiterlesen

Reiner Metzges in der taz: „Die Gefahr kommt nicht von links“ –

Stephan Hebel im Cicero: „Merkels Politik der Angst“

Jennifer Stange im Freitag: „Der Widerstand wächst“

Ermittlungsausschusses Frankfurt: Pressemitteilungen und Berichte zu Blockupy

Attac: Fotos, Videos, Pressemitteilungen und Berichte zu den Maiprotesten

1. und 4. Foto: Lisabeth Schreiber, 2. Foto: www.attac.de, 3. und 4. Foto: Julia Lipke

7 Kommentare zu „So sieht Demokratie aus

  1. Sehr interessanter Erfahrungsbericht.

    Ich habe es bisher nicht für möglich gehalten, dass in Deutschland (nochmal) einfach so die Grundrechte derart eingeschränkt werden und Menschen kriminalisiert werden, die absolut nichts illegales getan haben.
    Das hat mich fast noch mehr geschockt als die konkrete Politik gegen die – berechtigterweise – demonstriert wird.

    Ich habe mich sehr gefreut, dass am Samsagt so viele Menschen auf der Demo waren und gezeigt haben, dass es so nicht weitergehen kann.

    Viele Grüße
    Jessi

    „This is what democracy looks like!“

  2. meine sparkasse in eschersheim hatte am WE eingeschmissene scheiben… und ich denke mal das war nicht die einzige.
    ich bin sehr für demonstrieren und versammlungsfreiheit, aber ich glaube, dass das vorgehen der polizei und der gerichte einige gewalt verhindert hat. so superfriedlich und unproblematisch wie man es von den anderen hört, ist es nämlich leider nicht…

    1. Wie ich schon im Anschluss an die Demo am 31. März geschrieben habe, bin ich gegen Steine und Gewalt. Dass deine Sparkassen eingeschmissene Scheiben hatte, finde ich dementsprechend nicht förderlich. Aber ich glaube, wenn in Frankfurt jemand unbedingt gewalttätig hätte werden können, dann wäre er es geworden – vielleicht sogar trotz der starken Polizeipräsenz. Die Polizei hat vor allem eins verhindert: inhaltliche Arbeit. Sie hat völlig unverhältnismäßig reagiert und friedliche Bürger in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert. In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen ist das erschreckend!

      1. ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass die EZB auch eingeworfene scheiben gehabt hätte, wäre der bereich nicht weiträumig abgeriegelt worden…

      2. Ausschließen kann man das natürlich nicht. Allerdings habe ich am 31. März gesehen, dass die Menschen, die Steine schmeißen wollen, es auch tun – wenn sie irgendwo daran gehindert werden, weichen sie eben auf andere Objekte aus. Das hätten sie bei Blockupy ebenfalls tun können. Auch wenn das Bankenviertel zur Sperrzone erklärt wurde, wären Randale in anderen Teilen der Stadt möglich gewesen. Dazu kam es nicht.

        Ergänzend hier noch die Presseerklärung des Ermittlungsausschuss Frankfurt zu Blockupy:
        http://ea-frankfurt.org/presseerklaerung-des-ea-frankfurt-zu-den-blockupy-tagen-in-frankfurt-250512

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