Es mutet auf den Blick ein wenig seltsam an: Eine Architektin und Ökologin, die unser Geldsystem kritisiert, ohne auch nur eine einzige Vorlesung der Wirtschaftswissenschaften besucht zu haben. Hat sie die Kompetenz oder gar das Recht, an den „Grundfestem der ökonomischen Wissenschaften“ zu rütteln? Ich denke: Ja, unbedingt.
Margrit Kennedy erklärt in ihrem handlichen Büchlein „Occupy Money“, warum unser Geldsystem falsch konstruiert ist und deshalb regelmäßig Krisen verursachen muss. Sie richtet sich damit gezielt an Laien, weil sie der Meinung ist, dass nur sie eine Veränderung herbeiführen können. Sie appelliert einzig und allein an den gesunden Menschenverstand.
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“(Albert Einstein)
Fachausdrücke und Formeln verschleiern
Naiv? Überheblich? Anmaßend? Nein, ich finde, die aktuellen Entwicklungen geben ihr recht. Auch in der Krise hält ein Großteil der Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik an scheinbar unumstößlichen Wahrheiten fest. Weder das Wachstumsdogma noch der Neoliberalismus werden ernsthaft in Frage gestellt. Und das System, das die Mehrheit der Menschen längst nicht mehr versteht, kann ungehindert weiter laufen. Diejenigen, die davon profitieren, haben kein Interesse daran, die Menschen aufzuklären. Es passt ihnen wahrscheinlich ganz gut, dass sie mit Fachausdrücken und Formeln verschleiern können, was eigentlich vor sich geht. Der Otto-Normal-Verbraucher hängt indes den so genannten Experten an den Lippen und traut sich nicht mehr zu, die Vorgänge selbst zu beurteilen. Insofern setzt Kennedy an der richtigen Stelle an – nämlich bei uns.
Unwissenheit und Unsicherheit
„Unser Geldsystem ist nicht gottgegeben“, schreibt sie und ermutigt uns alle, dieses Gebilde, das wir selbst geschaffen haben, zu verändern. Wir sollten das Feld nicht den abstrakten Märkten oder den übermächtigen Finanzinstituten überlassen – schließlich sehen wir gerade, wohin das führt. Statt uns der Bequemlichkeit, der Unwissenheit und der Unsicherheit zu ergeben, sollten wir uns über Lösungsansätze und Alternativen Gedanken machen. Auch wenn sie kaum zur Sprache kommen – es gibt sie (siehe unten).
Pathologischer Wachstumszwang
Kennedys Hauptangriffspunkt ist der Zins. Er verursacht einen pathologischen Wachstumszwang, weil die Geldmenge exponentiell steigt. Die Realwirtschaft, die auf natürliche und endliche (!) Ressourcen angewiesen ist, kann diesem Wachstum auf Dauer gar nicht gerecht werden. Trotzdem entscheidet der Zins, wann und welche Investitionen lohnend sind. Der Zins ist der Preis für Geld.
Umverteilung und Vermehrung
Dieses Geld entsteht durch Schulden. Das Vermögen des einen sind die Schulden des anderen. Das gilt nicht nur für den Familienvater, der einen Kredit für den Hausbau aufnimmt, sondern genauso für Unternehmen und Staaten. Alle finanzieren sich über Schulden, die wiederum eine bestimmte Zinslast erzeugen, die von uns allen getragen wird – und das tagtäglich, selbst wenn wir selbst aktuell keinen Kredit zurückzahlen müssen. Die durchschnittliche Zinslast in den Ausgaben der deutschen Haushalte betrug 2007 rund 35 Prozent. Jeden Tag werden durch diese Zinsen 600 Millionen Euro (!) umverteilt. Hinzu kommt, dass unser Geld durch die ständige Vermehrung ganz automatisch an Wert verliert. Der Zins soll diesen Wertverlust ausgleichen. Dabei bedingen sie sich gegenseitig.
Geld wird zur Überlebensfrage
So viel zur Kritik. Natürlich bleibt diese Betrachtung an der Oberfläche – Kennedys Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung über das Zinssystem. Aber diesen Anspruch hat sie auch gar nicht. Vielmehr geht es ihr darum, ihren Lesern den systemimmanenten Fehler unseres Geldes vor Augen zu führen und unser „Denkgefängnis“ zu verlassen. Öffentlich wird kaum darüber gesprochen, welche Konsequenzen das Geldsystem in seiner heutigen Form hat. Verwunderlich ist das nicht, schließlich spielt Geld als Tauschmittel in unserer Gesellschaft eine extrem wichtige, ja existenzielle Rolle. „Wer das Geld in Frage stellt, stellt zugleich sein Überleben in Frage“, schreibt Kennedy und verweist damit auf das momentane Ausmaß der Fremdversorgung, das uns komplett abhängig und anfällig für Systemveränderungen macht.
Anmerkung. An dieser Stelle des Buches schließt sich für mich mal wieder der Kreis. Erst vor wenigen Tagen habe ich Niko Paechs „Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökononmie“ (siehe auch die Rezension auf perendie.de) ausgelesen, der unter anderem für eine dezentrale und weniger industrialisierte Versorgung plädiert, um den Wachstumszwängen zu entkommen und die daraus folgende ökologische Plünderung der Erde einzudämmen.
Umdenken notwendig
Ausführlich widmet sich Kennedy anschließend der Vorstellung von möglichen Alternativen und Lösungen: Zeitbanken, Parallelwährungen, Regionalgeld, zinsfreie Kredite, Standgebühr, Bildungs- und Gesundheitswährungen – die Wege aus der Geldkrise existieren bereits, man müsste sie nur gehen. Auf die einzelnen Möglichkeiten möchte ich hier nicht weiter eingehen (weitere Informationen gibt es unter den angefügten Links), denn ganz egal, welchen Weg man einschlagen möchte, die Grundvoraussetzung wäre ein Umdenken in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt. Stattdessen wollen wir weiter wachsen – anscheinend ohne erwachsen zu werden.
Weiterführende Literatur
Links:
Niko Paech: Vortrag zur Postwachstumsökonomie
Margrit Kennedy: Occupy Money
Monneta – Allianz zur Erforschung und Entwicklung von Komplementärwährungen
Grundeinkommen und wertbeständiges Geld
JAK Bank (die erste Bank in Schweden, die für ihre Mitglieder ein zinsloses Banksystem realisiert)
Regionalwährungen: Chiemgauer, Talente-Tauschkreis
Komplementärwährungen: Bernard Lietaer
Danke für die Infos zu Occupy Money (und fürs Erwähnen :-))! Ist schon interessant zu sehen, wie Leute um Attac die Finanzkrise lange vorher haben kommen sehen. Wer aber vor 2007 eine Finanztransaktionssteuer forderte, wurde von Politikern und Bankern noch arrogant belächelt.
Dass es so nicht weitergeht, hat sich ja inzwischen selbst in konservativen Kreisen herumgesprochen. Wichtig finde ich daher vor allem das Aufzeigen von Alternativen. Crowdfunding etwa oder Open Source sind ja z.B. Konzepte, die vllt. gar nicht mal politisch motiviert sein müssen und trotzdem die Abhängigkeit vom wachstumstreibenden Zinssystem reduzieren.
”Stattdessen wollen wir weiter wachsen – anscheinend ohne erwachsen zu werden.” – Ja leider, es heißt ja auch: wer nicht hören will muss fühlen.