Mehr „Waschlappen“ braucht das Land

Man kann von ihm halten, was man will. Aber Johannes Ponader als „Waschlappen“ zu bezeichnen, weil er öffentlich seine persönliche Erfahrungen mit dem Jobcenter beschreibt, ist völlig fehl am Platze – und fördert ganz nebenbei auch noch die fortschreitende Marginalisierung und Verurteilung von Arbeitssuchenden, die staatliche Leistungen in Anspruch nehmen.

Opfer des Systems

Unter dem Titel „Die Leiden des Piraten Ponader“ wirft Autorin Jennifer Nathalie Pyka dem 36-Jährigen  „realitätsfernes Jammern auf hohem Niveau“ vor und bedauert mit deutlich ironischem Unterton sein schlimmes Schicksal, mit dem er sich zu einem „Opfer des Systems“ stilisiert.

Seltsamer Lebensstil

Aktueller Anlass für diesen Artikel war ein ausführlicher Text in der FAZ, in dem Ponader selbst – und damit natürlich aus seiner Perspektive – die Komplikationen zwischen ihm und der Bundesagentur für Arbeit schildert. Es ist nicht das erste Mal, dass das Thema durch die Medien geistert. Seit seiner Wahl zum Bundesgeschäftsführer der Piraten scheinen sich die Journalisten fast durchgängig mehr für den auf den ersten Blick so seltsam anmutenden Lebensstil des ehrenamtlichen Politikers zu interessieren, als für seine Arbeit. Alle stürzten sich auf ihn, weil er statt Anzug und Krawatte lieber Sandalen und weite Pullover trägt, weil er bei seinen TV-Auftritten twittert oder – besonders beliebt – weil er polyamant lebt.

Was ist eigentlich polyamant?

Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen dieses Wort vor wenigen Monaten noch nie gehört hatten. Nun wird es in Artikeln gern als schmückendes Adjektiv benutzt – so auch von Jennifer Nathalie Pyka. Und ich frage mich, welche Rolle es spielt, ob Ponader ein, zwei oder zehn Beziehungen führt? Spricht ihm das irgendwelche Fähigkeiten ab? Sagt das irgendetwas über sein politisches Potenzial aus? Ich bezweifle es. Und dennoch wird diese Beschreibung immer wieder genutzt und damit von vorneherein impliziert: „Dieser Typ kann doch nicht alle Tassen im Schrank haben.“

Kein typisches deutsches Leben

Warum eigentlich? Johannes Ponader lebt kein typisches deutsches Leben – zumindest nach der gängigen Definition. Die stellt er nämlich gehörig in Frage. Wahrscheinlich ist es das, was Politikern, Journalisten und auch manchem Wähler Angst macht. In Deutschland ist man so etwas nicht gewöhnt. Dass sich jemand öffentlich weigert, sich dem bestehenden Gesellschaftssystem zu beugen und damit auch noch Erfolg zu haben scheint. Es ist offensichtlich, dass viele Schwierigkeiten haben, damit umzugehen – zumal Ponader sich in Diskussionen und Gesprächsrunde nicht so leicht unterbuttern lässt. Er wird äußerlich und inhaltlich zum Gegengewicht des üblichen Gestus.

Stipendiat und Musterschüler

Von Beruf ist der gebürtige Münchner nach eigenen Angaben Autor, Regisseur, Schauspieler und Theaterpädagoge. Pyka nennt das in ihrem Artikel „Gesellschaftskünstler“, der allerhand studiert hat. Dass er sein Abitur mit 1,0 bestanden hat und Stipendiat der Deutschen Studienstiftung ist, erwähnt sie mit keinem Wort. Ebenfalls unerwähnt bleiben seine künstlerischen Projekte und seine Ehrenämter. Stattdessen steht etwas ganz anderes im Vordergrund: sein Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit, die „Hand, die ihn fütterte“.

Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens

Johannes Ponader hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Arbeitslosengeld II bezieht. Wer wollte, konnte sich aber auch über die Gründe dafür informieren. Denn sein Eintreten für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ hängt damit direkt zusammen. Wer wie er ein solches Modell für sinnvoll erachtet, der sieht im Hartz IV-Regelsatz mehr als nur gütige Almosen vom Staat. Ein Grundeinkommen würde unser Leben in vielerlei Hinsicht verändern. Es würde uns unabhängiger machen von den Zwängen der Erwerbsarbeit, es würde Arbeitsbedingungen verbessern, es würde Wachstumszwänge abbauen, es würde mehr Zeit lassen für ehrenamtliches Engagement, das dadurch gleichzeitig an Wertigkeit gewinnen würde. Es ginge nicht mehr darum, sein Leben komplett danach auszurichten, möglichst viel Geld zu verdienen, um möglichst viel zu konsumieren und durch materielle Dinge irgendwie, aber nicht so richtig glücklich zu werden. Stattdessen könnte sich jeder Mensch ernsthaft fragen, wie er eigentlich leben möchte, was er tun möchte und welchen Beitrag er in der Gesellschaft leisten kann.

Wie funktionsfähig ist unser System?

Ja, es gibt viel Kritik an dieser Idee. Und ich möchte hier jetzt auch keine umfassende Diskussion darüber starten – das wäre ohnehin nicht möglich. Nur so viel sei gesagt: Es wäre möglich, ein solches Grund-einkommen zu finanzieren. Die Konzepte sind vorhanden. Und auch ein Gesellschaftssystem, das sich von der Idee der monetären Fremdversorgung löst, wäre denkbar. Natürlich würden dabei noch viele andere Aspekte eine Rolle spielen und eine Garantie zur Funktionsfähigkeit gibt es nicht. Aber wer dieses Argument hervorbringt, um gesellschaftliche Veränderungen und Alternativen, wie ein Johannes Ponader sie anbietet und lebt, ablehnt, den frage ich: Wie funktionsfähig ist denn unser momentanes System? Wollen wir tatsächlich so leben? Und können wir es überhaupt noch verantworten, so zu leben?

Arbeit, die unser System nicht honoriert

Johannes Ponader ist nicht faul. Er liegt nicht auf der faulen Haut und lässt sich vom fleißigen deutschen Steuerzahler aushalten. Er geht nur einer Arbeit nach, die unser System nicht honoriert – im Gegenteil. Sein Konflikt mit den Behörden zeigt deutlich, worum es in unserer Arbeits-gesellschaft geht: Leistung, Geld und Macht. Wer in diesem Hamsterrad nicht richtig funktioniert (aus welchen Gründen auch immer), bekommt das deutlich zu spüren – sei es durch abwertende Bemerkungen über Hartz IV-Empfänger, Sanktionen durch das Jobcenter oder entsetzte Blicke, wenn man an der Kasse mit Lebensmittelgutscheinen bezahlen muss.

Mehr als ein „Waschlappen“

Um offen und authentisch eine Meinung zu vertreten, die nicht dem allgemeinen Mainstream entspricht und das bestehende System in Frage stellt, braucht es Sachverstand, Mut und Rückrat. Es braucht mehr als einen „Waschlappen“, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und sie zu bekämpfen, vor allem wenn sie niemand sehen möchte. Vielleicht sollte sich die Öffentlichkeit zur Abwechslung mal darauf stürzen.

Zum Weiterlesen:

Wiki von Johannes Ponader

Grundeinkommen im Bundestag

Ein Kommentar zu „Mehr „Waschlappen“ braucht das Land

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