Auf den ersten Blick ist es eher ein subjektives Gefühl. Viele klagen über Stress, über Zeitmangel, über zu wenig Freizeit. Und das gilt nicht nur für Arbeitnehmer, auch das Studentenleben ist inzwischen kein Spaß mehr. Regelmäßig höre ich von Nachtschichten, Stresssyndromen und übermäßigem Leistungsdruck – quer durch alle Studiengänge. Gleichzeitig beschäftigen sich Wissenschaftler und Medien mit den gesamtgesellschaftlichen Ausprägungen dieser Situation: ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend und im Urlaub, die steigende Zahl von psychischen Erkrankungen und Burnout-Symptomen, eine wachsende Angst vor sozialem Abstieg und Arbeitslosigkeit und die beinahe verzweifelte Suche nach dem universellen Glücksrezept. Selbstfindung? Yoga? Urlaub am Meer? Neue Schuhe?
Glücksgefühl ohne Konsum
Vor kurzem fand im Rahmen der Attac Sommerakademie in Würzburg ein Vortrag zum Thema „Lebensqualität und Nachhaltigkeit“ statt. Referent Georg Feiner vom „Sustainable European Research Institute“ in Wien bat die Zuhörer, sich kurz zu überlegen, wann sie das letzte Mal richtig glücklich waren. Im Anschluss fragte er, bei wem das Glücksgefühl etwas mit materiellem Konsum zu tun hatte. Niemand hob die Hand.
Gefangen im Hamsterrad
Es ist paradox. Werbung und Industrie gaukeln uns vor, Konsum mache uns glücklich. Dabei wissen wir (zumindest im Unterbewusstsein) wohl ziemlich genau, dass es andere Dinge sind, die zu unserer Zufriedenheit beitragen: zwischenmenschliche Beziehungen, Kreativität, körperliche Aktivität, Entspannung, Natur oder ehrenamtliche Arbeit. Bei all diesen Werten spielt Geld wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle. Materieller Konsum hingegen setzt die finanziellen Grundlagen von vorneherein voraus. Ohne Moos nix’ los! Und damit befinden wir uns mitten im Hamsterrad: Um Stress, Frust und Unzufriedenheit abzubauen, die sich in unserer Arbeitsgesellschaft stetig anhäufen, konsumieren wir immer mehr in immer wenig Zeit – und brauchen dafür immer mehr Geld. Doch woher kommt das Geld? Wir müssen es uns verdienen. Mit guten Noten, einem guten Abschluss, einem tollen Lebenslauf, einem gut bezahlten Job, mit Beförderungen und Überstunden.
Reduzierung der Arbeitszeit
Es gibt Gegenentwürfe zu diesem Konzept. Häufig spielt dabei eine drastische Reduzierung der Arbeitszeit eine Rolle. Doch was würde es bedeuten, wenn wir nicht mehr 40, sondern nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten? Ist das überhaupt mach- und vorstellbar?
Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum
Im Buch „Ausgewachsen!“ versuchen verschiedene Autoren, sich der Idee einer Postwachstumsökonomie zu nähern. Für die Herausgeber (Werner Rätz, Tanja von Egan-Krieger u.a.) steht fest, dass es zum Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum keine Alternative gibt. Das Ende des unbegrenzten Wachstums auf einem endlichen Planeten kommt, und es geht lediglich darum, ob es katastrophal hereinbricht oder politisch bewusst gestaltet wird – und dabei spielt auch die gesellschaftliche Bedeutung und Funktion von Arbeit eine wichtige Rolle.
Nicht mehr genug Arbeit
Bereits jetzt ist der Reichtum für ein halbwegs anständiges Leben aller Menschen vorhanden. Es gibt keinen Mangel, sondern ein Verteilungsproblem. Der Zugang zu Überlebensmitteln ist abhängig von (oft nicht vorhandenen) Erwerbsarbeitplätzen, deshalb wird gilt seit jeher die Vollbeschäftigung als erklärtes Ziel. (1) Während die Wachstumsschübe nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Ziel erreichbar erscheinen ließen, wird inzwischen überdeutlich, dass die steigende Produktivität und eine relative Konsumsättigung dazu führen, dass nicht mehr genug Arbeit (in ihrer jetzigen Definition) vorhanden ist.
Die Produktivität steigt weiter
2004 erreichte in Deutschland die Arbeitslosigkeit mit fünf Millionen ihren Höchststand. Laut Wirtschafts- und Politikprofessor Mohssen Massarrat ist diese Zahl seitdem nicht wirklich gesunken – sie wurde lediglich manipuliert. Für ihn ist die Massenarbeits-losigkeit die fundamentale Voraussetzung für die Fort- existenz des neoliberalen Projekts, denn es verspricht Wachstum und Arbeitsplätze. Doch dieses Versprechen ist nicht einlösbar: die Wachstumsreserven schrumpfen, der Konsum ist mehr und mehr gesättigt und die Produktivität steigt weiter. (2) Einfach gefragt: Wir können das, was wir produzieren können, nicht mehr konsumieren (im Übrigen ein Grund, warum der Kapitalismus über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt ist).
Monetär nicht messbar
Verkürzen wir die durchschnittliche Arbeitszeit, hätte dies eine Schrumpfung des Erwerbsarbeitsvolumens zur Folge, mit der auch eine Schrumpfung der kapitalistisch produzierten Waren und Dienstleistungen einhergehen würde. Gleichzeitig plädiert Massarrat für den Ausbau des öffentlichen Sektors und das Wachstum von qualitativen, monetär aber nicht messbaren Verbrauchswerten in den sozialen und kulturellen Bestandteilen der Gesellschaft. (2)
Ausmaß der Fremdversorgung
Im Grunde ist das nur eine logische Folge der Produktivitätssteigerung. Wir arbeiten länger, als es für den eigenen Lebensunterhalt nötig wäre. Stattdessen schafft unsere Mehrarbeit einen Mehrwert, der zu einer Akkumulation von Kapital führt, das wiederum eine größere Wirtschaftsleistung und stetiges Wachstum fordert. (3) Wir sind abhängig von Arbeit und Geld, um uns zu versorgen, weil das Verhältnis von Selbst- und Fremdversorgung völlig aus den Fugen geraten ist. Inzwischen ist Erwerbsarbeit ein fundamentales Recht – dabei geht es eigentlich um die dadurch gesicherten Zugänge zu sozialer Anerkennung, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Diese Bedürfnisse könnten und müssten auf anderen Wegen befriedigt werden. (4)
Geld und Glück
Zumal inzwischen bewiesen ist, dass uns Geld nicht zwangsläufig glücklich macht. Ab einem jährlichen Einkommen von 10.000 bis 15.000 Dollar gibt es keinen statistischen Zusammenhang mehr zwischen Geld und Glück. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass Wachstum sich negativ auf unsere Zufriedenheit auswirkt: wir landen in „Tretmühlen des Glücks“. Wir wollen immer mehr als wir haben (Anspruchsfalle), wir haben trotz zeitsparender Technologien weniger Zeit zur Verfügung (Zeitsparfalle), wir vergleichen uns ständig (Vergleichsfalle) und fördern sozialen Neid. (4)
Mehr Freiheit und Zeit
Weiteres Wachstum ist in Zukunft weder möglich noch nötig – und somit verliert auch die Forderung nach immer neuen Arbeitsplätzen ihre Berechtigung. Die Verkürzung der Arbeitszeit wäre eine Maßnahme, die dieser Entwicklung gerecht würde. Gleichwohl kann sie natürlich nicht losgelöst von anderen Fragen betrachtet werden, z.B. wie die finanzielle Grundsicherung einer 20-Stunden-Woche aussehen könnte. Fest steht, dass die kapitalistische Formbestimmung der Arbeit als Lohnarbeit ausgedient hat. Wir brauchen für das Notwendige weniger Arbeit, dafür bleibt mehr Freiheit und Zeit für andere Tätigkeiten. Die Professorin Fridda Haug schlägt deswegen eine Vier-in-Einem-Perspektive vor, in der unsere Arbeit aus vier Bestandteilen besteht: 1. Erstellung und Verwaltung von Lebensmitteln, 2. Teilhabe an der Arbeit an Menschen und Natur, 3. Entwicklung eigener Fähigkeit und 4. politische Betätigung. (5)
Alternativen kombinieren
Neben der Arbeitszeitverkürzung bietet „Ausgewachsen!“ zahlreiche Wege zu ökologischer Gerechtigkeit, sozialen Rechten und einem gutem Leben an. Es sammelt die verschiedenen Strömungen der Postwachstumstheorien und zeigt, dass es Alternativen gibt, die richtig kombiniert und demokratisch umgesetzt unser heutiges kapitalistisch geprägtes und auf unbegrenzten Wachstum ausgelegtes System (mit all seinen negativen Folgen) ersetzen könnten. Und für alle Skeptiker möchte ich mit einem Zitat schließen, das ebenfalls aus diesem Buch stammt und mir aus der Seele spricht:
„Solche Koordinaten eines anderen Wirtschaftens können nicht ausgereift sein, denn es ist ein Irrglaube, eine andere Welt könne am Schreibtisch erfunden werden.“ (Friederike Habermann in „Ecommony“, Ökonomin, Historikerin und Dr. phil. in Politischen Wissenschaften)
Quellen:
(1) Rätz, Werner/Meisterernst, Doris/Paternoga, Dagmar (Attac AG Genug für alle): Statt Verdammung „falscher“ Bedürfnisse: Demokratische Debatte über Inhalt und Gestalt der Produktion, S. 96-108.
(2) Massarrat, Mohssen: Die Viertagewoche. Ein wichtiger Beitrag für den Übergang zur Postwachstumsgesellschaft, S. 109-120.
(3) Exner, Andreas/Lauk, Christian: Das Wachstum des Kapitals – seine Grundlagen und Grenzen, S. 18-30.
(4) Muraca, Barbara/ von Egan-Krieger, Tanja: Gerechtigkeit und gutes Leben jenseits von Wachstum, S. 43-56.
(5) Haug, Fridda: Arbeit jenseits von Wachstum – Die Vier-in-Einem-Perspektive, S. 121-129.
Schöner Artikel zu einem spannenden Thema! Nur den Slogan „Weniger ist mehr“ find ich schwierig, da er doch impliziert, dass mehr = gut ist. Gemeint ist natürlich das Gegenteil. Aber vllt. bin ich da auch einfach zu kleinlich… :-)
Zur Arbeitszeit: Mit der 40-Stunden-Woche lässt sich der Druck auf die Arbeitnehmer aufrecht erhalten. Schließlich wirkt das Vorhandensein von Millionen Arbeitslosen und „Aufstockern“ wie ein Damoklesschwert. Hätten alle (weniger) Arbeit, müssten sich die Bedingungen qualitativ verbessern.
Empfehlenswert ist auch P. Rinderspachers „Zeitwohlstand – Ein Konzept für einen anderen Wohlstand der Nation“. Er unterscheidet dort zwischen altem (materiellen) und neuem (Zeit-)Wohlstand.
Ist dir auch aufgefallen, dass man meistens sofort danach gefragt wird, was man arbeitet? Gleich nach dem Vorstellen? In einer Zeitschrift laß ich mal einen interessanten Aspekt dazu. Dort stand, dass Arbeit heutzutage wichtiges, identitätsstiftendes Merkmal ist. Viele Menschen würden sich nur darüber definieren bzw. werden darüber definiert, in welchem Bereich sie wie erfolgreich arbeiten.
Ja, das stimmt. Darüber hab ich in den Zusammenhang auch schon öfter nachgedacht. Aber das ist ja irgendwie logisch, wenn wir einen Großteil unserer Zeit auf den Job verwenden. Und es ist auch gar nicht falsch, sich damit zu identifizieren – wenn man es denn tatsächlich kann. Es ist wie so oft eine Frage des Maßes und der Sinnhaftigkeit.