Er ist erwartungslos. Oh je, das klingt nicht gut, oder? Wie kann man sich noch für eine Sache einsetzen, wenn man jegliche Erwartungen aufgegeben hat? Wie verliert man dabei nicht die Hoffnung? Und wie lassen sich so noch Ziele definieren, auf die man hinarbeiten kann? Für Niko Paech scheinen diese Fragen keinen Widerspruch zu ergeben. Er ist weder leidenschaftslos noch fehlt ihm eine Vision. Im Gegenteil.
Sein Konzept der „Postwachstumsökonomie“ bietet Ansätze, um globale Probleme wie den Klimawandel, die ungerechte Verteilung und Ressourcenknappheit einzudämmen, wenn nicht gar zu lösen. Der einzige Haken: Er bezweifelt, dass seine oder ähnliche Ansätze noch rechtzeitig umgesetzt werden. Stattdessen lässt er den Gedanken zu, dass die Menschen erst nach einem „Kollaps“ verstehen, worauf es ankommt. Natürlich kann die Erkenntnis auch früher einsetzen. Umso besser. Doch zu erwarten ist ein solcher Bewusstseinswandel nicht – vor allem nicht in den politischen Institutionen.
Alternativen sind gefragt
Eigentlich seltsam, denn Niko Paech ist inzwischen ein gefragter Mann. Der Terminkalender des Volkswirtschaftlers ist rappelvoll. Die Medien stehen Schlange für Interviews und Statements. Gleichzeitig tingelt er durch Deutschland, um seine Idee des Postwachstums zu präsentieren. Und das nicht nur in konsum- und globalisierungskritischen Kreisen – auch VW hat ihn bereits eingeladen. Wer die Möglichkeit hat, ihn wie ich in Dortmund persönlich kennenzulernen, sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Auch wenn ein paar Vorkenntnisse durchaus hilfreich sind, um dem recht kompakten und zügigen Vortrag zu folgen – die Grundbotschaft wird jedem deutlich: Wir können so nicht weiter machen. Und wir müssen es auch nicht, denn es gibt Alternativen.
Abschied vom Wachstumsdogma
Bevor diese Alternativen greifen können, müssen wir uns allerdings von einem scheinbar unbesiegbaren und heiligen Dogma verabschieden: dem Wachstum. Sowohl in neoliberalen als auch in linken Kreisen erfreut sich inzwischen das „grüne Wachstum“ wachsender Beliebtheit. Doch es ist ein Trugschluss, zu glauben, mit Hilfe von Effizienz und Konsistenz (Kreislaufwirtschaft) ließen sich gleichzeitig unser lieb gewonnener Wohlstand als auch die Erde retten. Die propagierte Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Ressourcenverbrauch bzw. Umweltzerstörung muss scheitern. Wir leben in einer endlichen Welt, in der unendliches Wachstum einfach nicht möglich ist (Stichwörter „Peak Everything“ und „Ohne Klimaschutz ist alles nichts“).
Das Problem: Fremdversorgung
Wer das verstanden hat, muss im nächsten Schritt die Frage stellen: Warum halten wir Wachstum trotzdem für unverzichtbar? Paech verweist in diesem Zusammenhang auf verschiedene Wachstumszwänge, die sowohl Produzenten als auch Konsumenten betreffen. So hat unter anderem die Globalisierung dazu geführt, dass die Wertschöpfungsketten unserer Produkte unglaublich lang geworden sind. Die Spezialisierung einzelner Fertigungsschritte hat zu einer weiträumigen Arbeitsteilung geführt, die die Summe der notwendigen Investitionen und Überschüsse steigen lässt. Mit anderen Worten: Wenn 50 Akteure an einer Produktionskette beteiligt sind, wollen auch 50 Akteure eine Rendite erwirtschaften. Der Kapitalbedarf – und das nötige Wachstum – steigt.
Wachstumszwänge abbauen
Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen Zwang zur Kapitalverwertung zu bremsen. Zum einen kann man auf Unternehmensformen mit geringeren Renditen umsteigen (zum Beispiel Genossenschaften). Zum anderen muss man unser Geldsystem genauer unter die Lupe nehmen und die reine Tauschfunktion wieder in den Mittelpunkt rücken, beispielsweise mit Regiogeld oder einer Vollgeldreform. Zudem braucht es unbedingt kürzere Wertschöpfungsketten, einen geringeren Spezialisierungsgrad und mehr regionale und lokale Selbstversorgung.
Die Verzichtfrage stellt sich nicht
Womit wir bei der Rolle des Konsumenten angekommen wären. Das passende Stichwort lautet hier Suffizienz – was so viel bedeutet wie Genügsamkeit. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die Verzichtfrage gestellt. Für Paech ist das aber völlig überflüssig, denn er geht davon aus, dass wir die unzähligen Konsummöglichkeiten überhaupt nicht mehr nutzen können. Es fehlt schlicht und ergreifend die Zeit. Das heißt, die Qualität unseres Konsums würde sogar steigen, wenn wir ihn ein wenig entrümpeln. (Erwähnt sei an dieser Stelle auch die Glücksforschung, die inzwischen belegt hat, dass uns immer mehr Reichtum nicht immer glücklicher macht.)
Marktfreie Versorgungszeit
Der Konsument entwickelt sich in der Postwachstumsökonomie zum Prosumenten, der einen Teil seiner Zeit dazu nutzt, sich dank handwerklicher Kompetenz und sozialem Kapital selbst zu versorgen. Hinter dieser Idee verbergen sich bereits erprobte Ideen wie Gemeinschaftsgärten oder Tauschringe. Die (globale) industrielle Produktion soll zumindest teilweise ersetzt werden durch Subsistenz (sich selbst erhaltender Lebensunterhalt) auf regionaler und lokaler Ebene. Möglich wird das auch durch eine Arbeitszeitverkürzung auf z.B. 20 Stunden pro Woche. Neben der normalen Erwerbsarbeit stünden dann die übrigen 20 Stunden als „marktfreie“ Versorgungszeit zur Verfügung.
Praktische Umsetzung
Paech bietet insgesamt ein sehr differenziertes und wohl überlegtes Modell an, das sich in seiner Fülle hier nicht darstellen lässt. Doch wie lässt sich diese schöne Idee umsetzen? Verhindern nicht die globalen Machtverhältnisse dass wir unsere Lebensweise grundlegend ändern? Und sind die Menschen überhaupt bereit dazu, die vermeintliche Wohlstands-gesellschaft in Frage zu stellen?
Rettungsinseln schaffen
„Machtverhältnisse sind beschreibbar“, sagt Paech. Und die entstehen seiner Meinung nach vor allem durch Geld und Kapital. Die Konsumgesellschaft habe uns abhängig gemacht. „Aber wir sind nicht ohnmächtig.“ Macht hat für den Professor auch immer eine andere Seite: Wir können die Machtstrukturen ändern, indem wir uns Stück für Stück aus der Abhängigkeit befreien. Wir müssen Rettungsinseln schaffen, einen neuen Lebensstil entwickeln und langsam aber sicher eine kritische Masse werden. Nur so lässt sich für Paech ein Wandel herbeiführen. Er hofft auf „soziale Emergenz“, setzt sein Vertrauen in die Menschen und neue demokratische Strukturen fernab der Politik. Denn bevor sich dort etwas bewegt, braucht es den gesellschaftlichen Wandel. Politiker seien nur an Wählerstimmen interessiert und trauten sich deshalb nicht, den ersten Schritt zu tun. Es liegt also bei uns. Bleibt die Frage, ob wir rechtzeitig die Kurve kriegen. Oder ob es erst den Kollaps und seine mitunter heilende Wirkung braucht, bevor sich etwas ändert.
Weitere Infos:
Buch: Dr. Niko Paech – Befreiung vom Überfluss (Oekom Verlag)
Video: Dr. Niko Paech – Vortrag zur Postwachstumsökonomie
Außerdem sehr lesenswert:
Kommentar von Robert Skidelsky (FTD, 16.11.12):
Das Glück durch Gleichheit – Warum Wachstum nichts mit Glück zu tun hat
Bericht des UN-Weltklimarates: Apokalypse auf Akademisch (taz, 18.11.12): „Die 2-Grad-Grenze ist die rote Linie im Klimaschutz. Sie ist das global anerkannte Limit, bis zu dem nach wissenschaftlich anerkannter Meinung der Klimawandel gerade noch zu beherrschen ist. Deshalb haben die Regierungen der UN-Staaten immer wieder erklärt: Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Und doch haben sie kaum etwas unternommen, damit die Grenze tatsächlich eingehalten wird. Daran wird sich auch nichts Grundlegendes bei der 18. UN-Klimakonferenz ändern, die nächste Woche in Doha beginnt.“
Schöner Bericht über ein wichtiges Thema. Auch mich beschleicht ebenso wie Niko Paech die Skepsis: Angesichts der durch Politik und Wirtschaft mantraartig wiederholten Formel von „Wachstum und Beschäftigung“ dürfte sich den wenigsten Konsumenten erschließen, dass es nicht nur Alternativen gibt, sondern dass diese Alternativen auch nicht zwangsläufig zu Massenarbeitslosigkeit und Versorgungsnotständen führen müssen. Darüber hinaus zeigt der Umgang der Menschheit mit dem Phänomen Klimawandel genau das von Paech beschriebene Muster. Wenn überhaupt, dann wird bei einem unbequemen Thema, das ebenso unbequeme Verhaltensänderungen einfordert, zu spät und meist nur sehr zaghaft reagiert. Denn wenn es darauf ankommt, dann haben Politik, Wirtschaft und auch der Konsument eben doch einen begrenzten Horizont – sei es nun die nächste Wahl, das zu verkaufende Produkt oder unsere liebgewonnene Lebensqualität. Doch trotz aller Skepsis bleibt für mich persönlich der Vorsatz, nicht beim Verbrauchermikado mitzumachen und mich nicht vom oftmals angeführten Argument leiten zu lassen, ein einzelner könne doch ohnehin nichts ausrichten.