Wünsch dir was!

Nicht, dass es mich überrascht hätte. Es war ein gewohntes Bild, das sich mir in der Einkaufsmeile der Innenstadt bot: Die shoppenden Menschenmassen bahnten sich ihren Weg durch Geschäfte, Glühweinstände, Kassen-schlangen und Einkaufstüten. Das Weihnachtsgeschäft brummte an diesem zweiten Adventswochenende. Seltsam. Irgendwie hatte ich gedacht, es wäre Krise. Oder habe ich da wohl irgendwas falsch verstanden? Sind die täglichen Hiobsbotschaften aus Brüssel und Berlin doch nicht so dramatisch, wie sie klingen? Ist doch alles in Ordnung?

„Diejenigen, die immer nur das Mögliche fordern, erreichen gar nichts. Diejenigen, die aber das Unmögliche fordern, erreichen wenigstens das Mögliche.“ (Michail Bakunin)

Keine Lust zu Sparen

Es scheint so. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) veröffentlichte vor kurzem eine Studie, die besagt, dass die Deutschen dieses Jahr im Schnitt 285 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben werden. Im Vergleich zum letzten Jahr steigen die Ausgaben damit um neun Prozent auf insgesamt 14,9 Milliarden Euro.

„Der Handel werde davon profitieren, dass die Deutschen weniger Lust zum Sparen haben, sagen die GfK-Experten. Wegen der niedrigen Zinsen lohne es sich nicht mehr, das Geld zur Bank zu bringen, und das Vertrauen in die Finanzmärkte sei seit der großen Krise erschüttert. Deshalb sei die Bereitschaft für Anschaffungen hoch.“ (Junge Welt, 27.11.12)

Von dieser Bereitschaft konnte ich mich am Wochenende selbst überzeugen. Und obwohl ich nichts anderes erwartet hatte, schockierte es mich – wieder einmal. Es will mir einfach nicht in den Kopf, wie die Maschinerie einfach weiter funktionieren kann: Konsum, Konsum und noch mal Konsum. Dabei hat die Finanzkrise die Schwächen des kapitalistischen Systems doch so deutlich ans Licht gebracht. Es ist zum Scheitern verurteilt, weil es auf unendliches Wachstum und fortschreitende Expansion angelegt ist. Der Fehler ist systemimmanent.

Hungertote auch in Europa

Die Folgen bekommen im Moment vor allem die Spanier, Portugiesen und Griechen zu spüren: Dank der von der EU verordneten Sparmaßnahmen verlieren sie ihre Jobs, ihre Wohnung, ihre Existenz und nicht zuletzt jede Zukunftsperspektive. In der EU ist laut Eurostat inzwischen jeder Vierte von Armut bedroht – und die neuen Fälle aus den südlichen Ländern sind dabei noch nicht eingerechnet. Auch in Deutschland hat die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen bereits enorme Ausmaße angenommen. Trotzdem lautet das Mantra der EU-Politiker: Sparen. Während Milliarden in die Rettung von Banken gesteckt wird, dampfen die Staaten ihre Sozialsysteme ein.

Kein Grund zum Umdenken

Wir drehen uns im Kreis. Mit aller Macht wird das System am Laufen gehalten, weil es als „alternativlos“ präsentiert wird. Die Profiteuere, die an der Euro-„Rettung“ verdienen und die nichts an den Besitzverhältnissen ändern wollen, haben die Entscheidungsträger in der Hand. Es ist nicht zu erwarten, dass sie ihren politischen Kurs ändern. Selbstmorde in Spanien? Hungertote in Griechenland? Sie spielen keine Rolle – und sind im Grunde ja selbst schuld an ihrer Misere. Schließlich haben sie ja jahrelang „über ihre Verhältnisse gelebt“.

Bisher kamen die schlechten Nachrichten nur aus fernen Ländern. Dass eine Milliarde Menschen hungern, daran haben wir inzwischen uns gewöhnt. Afrika, Südamerika und Asien sind weit weg – und die Flüchtlinge aus den Armenhäusern der Welt lassen sich mit ja problemlos abwehren. Als ob das nicht schon schlimm genug und Grund genug für Veränderungen wäre, steht das Elend nun vor unserer eigenen Haustür. Eine neue Qualität der Ungerechtigkeit? Ein Grund zum Umdenken? Nein.

Geben und Nehmen

All diese Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich den Passanten in der Stadt erklärte, wie Solidarökonomie funktioniert. Viele blieben stehen und warfen einen neugierigen Blick auf unseren „Gib-und-Nimm-Stand“, auf dem Bücher, Klamotten und Muffins einen neuen Besitzer suchten. Das Prinzip ist einfach: Jeder kann Dinge abgeben, die er nicht mehr braucht. Andere können sie kostenlos wieder mitnehmen. Dabei spielt keine Rolle, ob man etwas beisteuert und nicht. Und Geld braucht es dafür sowieso nicht.

Die Idee kam gut an. Wie bei der Aktionspremiere vor zwei Wochen bekamen wir auch dieses Mal viel positives Feedback. Einige kramten aufgeregt in ihren Taschen, um irgendetwas zu finden, dass sie abgeben könnten. „Hätte ich das früher gewusst“, sagte mir eine ältere Dame. „Ich hätte ihnen so viel mitbringen können.“ Die meisten stimmten uns zu, wenn wir über die Vorteile der Solidarökonomie sprachen. Und auch der Vorschlag, statt einem 20-Euro-Geschenk vielleicht ein wenig Zeit oder ein offenes Ohr zu verschenken, brachte wohl den ein oder anderen zum Nachdenken.

Bedürfnisse der Menschen

Ein Denkanstoß und der Startschuss für regelmäßige Aktionen dieser Art – das sollte der Tisch sein. Er sollte informieren über alternative Wirtschaftsformen, die sich im Gegensatz zum Kapitalismus an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientiert, Ressourcen sparen, nachhaltig sind und einfach mehr Sinn machen als die unreflektierte und nur auf Profit ausgelegte Produktion von immer mehr Konsumgütern, die wir im Grunde gar nicht brauchen.

„Sie suchen im Konsum das, was sie im Leben nicht finden.“ (Anarchie, Horst Stowasser)

Natürlich mutet es auf den ersten Blick fast lächerlich an, mit einem kleinen Tapeziertisch in der Dortmunder Innenstadt dem globalen Kapitalismus entgegentreten zu wollen. Aber jenseits von internationalen Gipfeln, Demonstrationen und Protestaktionen braucht es unbedingt neue, regionale Strukturen, die einen globalen Wandel letztendlich herbeiführen und überhaupt erst gewährleisten können.

„Angesicht der eigenen Schwäche nicht zu resignieren und trotzdem gehandelt zu haben – darin liegen Wirkung und Größe anarchistischer Aktion.“ (Anarchie, Horst Stowasser)

Bevor sich tatsächlich etwas ändern, braucht es ein Konzept für eine neue bessere Gesellschaft. Und dieses Konzept muss getestet und verbreitet werden. Dafür braucht es Menschen, die in gewisser Weise „anders“ sind, die eine eigene Rolle spielen in der Gesellschaft. Ich rede dabei nicht von einer revolutionären „Elite“, die meint, alle anderen Menschen führen und zu ihrem Glück zwingen zu können oder zu müssen. Es geht darum, etwas anderes vorzuleben, zu zeigen, wie es anders geht, den Menschen ein Angebot zu machen und sie dafür zu begeistern. Wir können Vorboten sein, aber keine Heilsbringer. Denn der Wandel ist ein Prozess, der eine breite Unterstützung braucht. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Bedingungen dafür geschaffen werden.

Autonome Strukturen bilden

Der Gib-und-Nimm-Tisch ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie sich autonome Strukturen bilden können, die den Menschen wieder die Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit zurückgeben, die sie in der globalen Fremdversorgung verloren haben. Er ist ein Beispiel, wie wir die Welt, wie wir sie uns vorstellen, schon heute leben können. Natürlich ging es auch um Protest gegen den Konsumrausch der Vorweihnachtszeit, aber im Mittelpunkt stand vor allem der konstruktive und nachhaltige Ansatz der Solidarökonomie. Zwar sind wir immer noch weit entfernt von einer grundlegenden Veränderung der Wirtschaft.

„Aber gerade dann, wenn die Utopie unvorstellbar wird, ist sie am unerlässlichsten.“ (Pfade durch Utopia, Isabelle Fremenaux und John Jordan)

Weitere Infos:

Shoppen bis zum Umfallen – Ich kaufe, also bin ich (Arte, 2009, 50:50): Die Dokumentation analysiert auf unterhaltsame Weise die Evolution des modernen Menschen zum Konsumenten. Sie zeigt am Beispiel der USA, dem langjährigen Vorbild der westlichen Hemisphäre, die gesellschaftliche Situation vor 60 Jahren, als der Konsumterror seine Anfänge nahm.

Solidarische Ökonomie (Wikipedia)

Pressemitteilung: Weihnachtsstudie 2012 (GfK, 26.11.12)

Pressemitteilung: Armut und soziale Ausgrenzung in der EU27 (Eurostat, 03.12.12)

5 Kommentare zu „Wünsch dir was!

    1. Ja, eigentlich schon. Aber den Platz mitten in der Stadt (während des Weihnachtsmarktes) hätten wir nicht bekommen. Die letzten beide Male haben wir ihn nicht angemeldet. Ab Januar wollen wir ihn regelmäßig machen, dann melden wir ihn an. Entweder als politische Versammlung bei der Polizei oder man beantragt eine Sondernutzungsgenehmigung bei der Stadt.

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