Mogelpackung „Fair Trade“

Es kann so einfach sein, ein guter Mensch zu sein – wenn man es sich leisten kann. Immer mehr Supermärkte bieten fair gehandelte Produkte an: Ob Kaffee, Schokoladen oder Blumen – meistens finden sich in der schier unendlichen Auswahl auch Waren mit dem entsprechenden Siegel. Sie kosten zwar ein paar Euro mehr. Aber hey, das ist es mir doch wert. Der Gedanke an Kinder auf Kakao-Plantagen in Westafrika macht mir ein schlechtes Gewissen, das ich mit dem Griff zur teureren Variante leicht besänftigen kann.

Die Qual der Wahl

Auch wenn ich mich immer noch schlecht fühle, überhaupt Geld in Supermärkten auszugeben und damit ein zerstörerisches System zu unterstützen, habe ich doch ein wenig Widerstand geleistet. Ich habe meine Macht als Konsument genutzt, um den fiesen multinationalen Konzernen mal zu zeigen, was ich von ihren Ausbeutungsstrategien halte. Ich habe die Wahl – und ich habe sie getroffen.

Zum Scheitern verurteilt

Schade nur, dass meine Entscheidung das globale Kapital nicht im Geringsten interessiert. Im Gegenteil. Es freut sich, weil ich davon überzeugt bin, die Welt zu verbessern, während im Grunde alles beim Alten bleibt. Mein Gerechtigkeitsempfinden hat seinen Ausdruck gefunden, ohne den globalen Konzernen in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. So soll es sein.

Und genau hier liegt auch der Grund, warum die Ideen von „ethischem Konsum“ oder „Fair Trade“ zum Scheitern verurteilen sind. Auch wenn es schwer fällt, sich von dieser relativ bequemen Form des Protests zu verabschieden, ist die Wahrheit unausweichlich: Fairer Handel ist nicht die richtige Antwort auf den globalen Kapitalismus.

„Fair Trade“ ist beliebt

Warum das so ist, wurde mir zuletzt bei einem Vortrag des „Gegenstandpunkt„-Verlages vor Augen geführt. In zwei Teilen behandelten die beiden Referenten zunächst die Strukturen der globalen Marktwirtschaft und die ihr zugrunde liegenden Machtstrukturen. Anschließend ging es um die Rolle des Konsumenten, der aufgefordert ist, durch sein Verhalten das Marktgeschehen und die Produktion zu beeinflussen.

Das Kulturcafé der Ruhr-Universität Bochum war gut besucht – die Plätze reichten für die rund 150 Zuhörer kaum aus. Kein Wunder, denn immer mehr Menschen beginnen, ihren Konsum zu hinterfragen und suchen nach Alternativen. Und wie ich oben bereits angedeutet habe: „Fair Trade“ ist beliebt. Das zeigen auch die neusten Zahlen: Mehr als 500 Millionen Euro gaben die Deutschen für entsprechende Produkte aus, so viel wie nie zuvor.

Reines Wunschdenken

Dass die Veranstaltung demgegenüber aber eine so kritische Haltung einnahm, hatten viele wahrscheinlich  nicht erwartet. Der ein oder andere fühlte sich im Anschluss wohl ziemlich desillusioniert. Doch trotzdem sollte uns die Wahrheit lieber sein als eine Wunschvorstellung, die uns zwar in Zufriedenheit wiegt, uns aber gleichzeitig davon abhält, wirklich etwas zu ändern.

Regelmäßige Skandale

Wie also sieht sie aus, die Wahrheit? Befürworter und Unterstützer eines ethischen Konsums ziehen die falschen Schlüsse aus den Bedingungen der globalen Marktwirtschaft und setzen deshalb an der falschen Stelle an, um sie zu verändern. Für sie ist der Ausgangspunkt die Empörung über die miesen Arbeitsbedingungen in der so genannten Dritten Welt. Der Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch ist nur das jüngste Beispiel. In trauriger Regelmäßigkeit erfahren wir, die vermeintliche Wohlstandsgesellschaft des Westens, von solchen Skandalen – sei es in den Coltan-Minen in Afrika, in Apple-Fabriken in Asien oder in Schlachtbetrieben in Osteuropa.

Moralische Verwerfung

Verantwortlich gemacht wird dafür der ungerechte Unternehmer. Die Missstände werden dargestellt als eine (einmalige) moralische Verwerfung eines ansonsten gut funktionierenden Systems. So lautet denn auch die typische Frage: Warum zahlt ein Unternehmen keine gerechten Löhne, obwohl es doch Jahr für Jahr exorbitante Gewinne einstreicht? Warum behandelt es seine Mitarbeiter so schlecht, obwohl sie die Produktion garantieren?

Die Ausbeutung hat System

Hier wird ein kausaler Zusammenhang hergestellt, der in der Realität nicht existiert. Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Lohnabhängigem ist kein gegenseitiges Geben und Nehmen. Im Arbeitsverhältnis ist keine Fürsorgepflicht seitens des Unternehmens für die Mitarbeiter enthalten. Das einzige Ziel lautet: Gewinn erwirtschaften. Und deshalb muss es richtig heißen: Das Unternehmen streicht Jahr für Jahr exorbitante Gewinne ein, gerade weil es keine gerechten Löhne zahlt und seine Mitarbeiter schlecht behandelt. Ausbeutung ist systemimmanent und keine moralische Verwerfung.

Falscher Adressat

Doch aufbauend auf diesem falschem Schluss richten sich „Fair Trade“- Kampagnen an Politik und Verbraucher. Während erstere aufgefordert ist, die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus durch Gesetze zu verhindern, wird letzterer bei seiner persönlichen Verantwortung gepackt. Sein Einkauf sei eine permanente Abstimmung, bei der er sich für den „besseren“ und „gerechteren“ Anbieter entscheiden kann.

Damit soll Druck auf die „schwarzen Schafe“ ausgeübt werden – schließlich wollen sie ihre Produkte auch weiterhin gewinnbringend verkaufen. Gleichzeitig wird der Verbraucher zum neuen Schuldigen. Entscheidet er sich falsch und kauft das von Kinderhänden produzierte Billg-Shirt, ist er nichts anderes als ein Nutznießer, der von den Machenschaften der Konzerne profitiert.

Konsummacht ist Illusion

Diese Argumentation hat allerdings einen großen Haken: Der Konsument hat keine Macht. Zum einen hat der Verzicht natürliche Grenzen. Wir sind auf Konsum angewiesen, weil unsere Wirtschaft auf Fremdversorgung basiert. Zum anderen müssten die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen tatsächlich sichtbar sein. Und selbst wenn sie das sind und ich mich bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheide, wandert der Gewinn lediglich zu einem anderen Unternehmen.

Gewinnstreben bleibt unangetastet

Die Gewinnorientierung wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt – genauso wie die Produktionsbedingungen im Kapitalismus. Der Gewinn soll nur auf etwas humanere Weise erwirtschaftet werden. Die Kaffeebauern erhalten möglicherweise einen höheren Lohn für ihre Arbeit, doch an der grundsätzlichen Ausbeutung ändert sich nichts. Die Forderungen werden dabei meist so weit heruntergeschraubt (z.B. auf ein existenzielles Minimum), dass sie mit dem Gewinnstreben weiterhin vereinbar sind.

Keine Entscheidungsfreiheit

Nur weil der Kaufakt des Konsumenten Gewinn erst möglich macht, heißt das nicht, dass er auch die Macht hat, Einfluss zu nehmen. Er entscheidet zum Beispiel nicht, welche Produkte überhaupt angeboten werden – das tun die Konzerne. So ist unsere „Auswahl“ von vorneherein begrenzt. Gleichzeitig bestimmen die Arbeitgeber mit den gezahlten Löhnen auch die Kaufkraft der Konsumenten. Sinkt die Kaufkraft, setzen die Unternehmen auf Billigangebote, um auch die geringste Zahlungsfähigkeit auszunutzen. Zwei-Euro-Klamotten gibt es nicht, weil die Verbraucher sie sich gewünscht oder gar ein entsprechenden Bedürfnis hatten.

Lohnarbeit als Privileg

Wir müssen konsumieren. Um konsumieren zu können, brauchen wir Geld. Und um Geld zu haben, müssen wir einer Lohnarbeit nachgehen. Wir sind abhängig. Das gilt hier (Stichwort: wachsendes Prekariat) wie auch in den Entwicklungsländern. Einziger Unterschied: Die Menschen dort werden nicht nur ausgebeutet, sondern sind obendrein ausgeschlossen vom Konsum. Lohnarbeit ist dort oft ein seltenes Privileg, was unter anderem der Überbevölkerung geschuldet ist. Armut wird zur Geschäftsbedingung und existentielle Not zur Grundlage für Erpressung.

Zusammenhänge verschleiert

Mit der Forderung, verantwortungsbewusst und ethisch zu konsumieren, werden diese Zusammenhänge verschleiert. Die Schuld wird auf den Verbraucher abgeschoben, während die grundlegenden Strukturen des Systems zur Freude des Kapitals nicht angetastet werden. So wird die Macht der globalen Konzerne stabilisiert, anstatt sie zu brechen. Den Menschen wird vorgegaukelt, sie könnten etwas ändern, obwohl sie regelmäßig enttäuscht werden. Sie stecken mitunter viel Energie in ein ehrenwertes Ziel, doch dieses Potenzial läuft ins Leere. Was bleibt, sind häufig Schuldgefühle und Frustration.

Doch was ist die Alternative? Spontan fällt mir dazu ein Satz aus dem Aufruf des „Euromayday Ruhr“ ein.

„Um es kurz zu machen: Weil Kapitalismus immer noch scheiße ist.“

Klingt banal, ist aber so. Und deshalb ist es nötig, seine Funktionsweise zu entlarven und deutlich zu machen, dass die Lohnabhängigen in Europa, Amerika, Asien, Lateinamerika und Afrika alle im gleichen Boot sitzen. Sie leiden unter denselben Strukturen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Anstatt dem hiesigen Verbraucher zu erzählen, er könne mit fair gehandelten Bananen die Welt retten, müssen Wege für ein neues Wirtschaftssystem gefunden werden. Vor allem lokal bieten sich dafür bereits Ansatzpunkte. Die Menschen müssen nicht in ihrer Rolle des Konsumenten, sondern des Lohnabhängigen aktiv werden. Das klingt leichter gesagt, als getan. Aber Einsicht ist der erste Weg zur Besserung…

P.S. Ja, ich gebe zu: Ich habe erst diese Woche fair gehandelten Kaffee gekauft. Ist das nun schlecht? Ich bin mir nicht sicher. Im Moment ist es wohl das kleinere Übel auf einem noch langen Weg… aber ich arbeite dran.

Zum Weiterlesen:

Fairer Handel für eine neue Weltordnung (Neues Deutschland, 23.04.13): „Seit gestern läuft die bundesweite Kampagne ‚Fairtrade-Frühstück‘, mit der das Prinzip des Fairen Handels noch weiter bekannt gemacht werden soll. Eine faire Weltwirtschaftsordnung wird damit aber alles andere als hinfällig: Sie ist nötiger denn je, damit in Nord und Süd alle fair leben können!“

Gut konsumiert, schlecht bezahlt (Der Freitag, 29.02.12): „Ethisch korrektes Einkaufen allein führt weder zu angemessenen Arbeitsbedingungen noch zu fairer Entlohnung. Ist das Fair-Trade-Modell das falsche Entwicklungskonzept?“

22 Kommentare zu „Mogelpackung „Fair Trade“

  1. Toller Artikel Regine =8) deshalb ist es auch so ungern gesehen, wenn man selbst für seine Nahrungsmittel sorgt. Wie gesehen in Amerika an einigen Beispielen, wo Familien ihren Garten nutzten um Nahrung anzubauen und prompt von den Behörden angezeigt wurden das doch zu unterlassen. Oder auch in Neuseeland wo es das hier gibt: http://en.wikipedia.org/wiki/Food_Bill_160-2_of_New_Zealand. In die selbe Kerbe schagen auch die Bemüungen, das Saatgut in der EU zu kontrollieren. Oder die Wasserprivatisierung. In beiden Fällen geht es um die finale Abhängigkeit der Bevölkerung. Wobei es bei der Wasserprivatisierung einfache Möglichkeiten gibt diese zu umgehen: Regenwasser sammeln (wobei, ich gebe zu, das nicht jedem in gleichem Masse möglich sein dürfte). Was die totale Kontrolle des Saatgutes angeht: Hier heisst es massiv Widerstand leisten!
    Auch die enorme und freizügige Staatsverschuldung führt zu nichts anderem als einem klaren Herrschaftsverhältnis, denn man kann die Schuldner natürlich als Steuerzahler bezeichnen, aber letzten Endes sind diese nichts anderes als Abhängige Unterlinge, die über das Kredo „Schulden und Kredite MUß man zurückzahlen“ für immer ‚versklavt‘ werden. Und das nicht nur für die jetztige, sondern auch für alle folgenden Generationen.
    Und zum Schluss noch eines: Wir sind wieder auf dem Wege in die Feudalherrschaft. Es wird heute nur Demokratie genannt, doch die Kontrolle weniger über die absolut unabdingbar notwendigen Lebensgrundlagen, spricht eine andere Sprache. Nicht umsonst kommt das englische Wort Lord von altenglisch hláford, auch hlaferd oder hláfweard. Was nichts anderes heisst als ‚Brotherr‘.
    Die Frage ist: Wollen wir das?

  2. Der Artikel ist politisch gefärbt und enthält einen Denkfehler. Der Autor geht davon aus, dass der faire Handel nichts Gutes bewirkt, und das ist falsch.

    1. Das ist falsch. Ich gehe nicht davon aus, dass der faire Handel nichts Gutes wirkt. Aber die Verbesserungen sind wenn marginal und punktuell. Die grundsätzliche Kritik fehlt – und die wäre für weitreichende Verbeserungen nötig,

      1. @schlachtreif
        „Aber die Verbesserungen sind wenn marginal und punktuell. Die grundsätzliche Kritik fehlt – und die wäre für weitreichende Verbeserungen nötig,“

        Dabei machen Sie aber den Fehler, automatisch davon auszugehen, dass die von Ihnen angesprochenen „weitreichenden Verbesserungen“ von dem Großteil der Bevölkerung angestrebt werden.

        Der überwiegende Prozentsatz der Menschen hierzulande hat aber bspw. überhaupt kein Interesse an einem „Ende des Kapitalismus“ oder ähnlichem.

      2. Ich denke, dass ein Großteil der Menschen unzufrieden ist mit den eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Entwicklung der Gesellschaft. Viele merken sehr genau, dass etwas falsch läuft, aber sie können sich nicht vorstellen, wie es anders gehen sollte, weil Alternativen nicht diskutiert werden. Dazu ein Zitat aus „Kartoffeln und Computer“ (sehr zu empfehlen, wenn man eine solche Alternative kennenlernen möchte):

        „Gemäß einer Studie der BBC glauben nur noch 11 Prozent der Weltbevölkerung, dass der Kapitalismus gut funktioniert. In Frankreiche, Mexiko und der Ukraine verlangen mehr als 40 Prozent, dass er durch etwas gänzlich anderes ersetzt werden sollte. Es gibt nur zwei Länder, wo mehr als Fünftel der Bevölkerung glaubt, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form gut funktioniert: 25 Prozent in den USA und 21 Prozent in Pakistan.“

        http://www.stern.de/wirtschaft/news/maerkte/britische-studie-weltweit-herrscht-unzufriedenheit-mit-kapitalismus-1520486.html

  3. Hallo Regine,

    interessanter Artikel zum Nachdenken, vor allem weil ich in letzter Zeit oft Fair-Trade-Artikel kaufe (mit dem Bewusstsein, nicht das System globaler Kapitalismus dadurch erheblich zu verändern, aber mit der [naiven?] Hoffnung die Lebens- und Arbeitsbedingungen von einigen Menschen positiv zu beeinflussen und eben Druck auf die Unternehmen und Produzenten auszuüben).

    Zwei Fragen bleiben bei mir:

    „Vor allem lokal bieten sich dafür bereits Ansatzpunkte. Die Menschen müssen nicht in ihrer Rolle des Konsumenten, sondern des Lohnabhängigen aktiv werden. Das klingt leichter gesagt, als getan. Aber Einsicht ist der erste Weg zur Besserung…“

    Was bedeutet das genau? Was soll der/die Lohnabhängige genau unternehmen?

    Und zum Thema Wirtschaftssysteme: Was wären Alternativen? Gibt es gute Beispiele/Ansätze? (Ich bin nicht so involviert/informiert in Punkto Kapitalismuskritik)

    Grüße,
    Matthias

    1. Mit lokalen Ansätzen meine ich vor allem Schritte, mit denen man sich gemeinsam unabhängig macht von der Fremdversorgung, zum Beispiel durch solidarische Landwirtschaft oder Solidarökonomie in Form von „Gib und Nimm“ oder Tauschringen.

      Was die Lohnabhängigen angeht kommt es wohl auf Selbstorganisation an. In Griechenland gibt es inzwischen Beispiele dafür, wie Arbeiter ihre Fabriken besetzen und selbst verwaltet produzieren. Davon sind wir hier noch weit entfernt – und ich selbst habe auch sehr wenig Erfahrung diesbezüglich. Klar ist aber: Wir müssen in der Produktion ansetzen, nicht erst beim Konsum.

      Ich kann dir natürlich auch kein fertiges Wirtschaftssystem präsentieren. Empfehlen kann ich dir aber z.B. die Ideen von Niko Paech zur „Postwachstumsökonomie“. Wichtig ist: Die Wirtschaft muss sich wieder an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientieren anstatt an Gewinn. Zudem muss sie demokratisch organisiert werden.

  4. „Nur weil der Kaufakt des Konsumenten Gewinn erst möglich macht, heißt das nicht, dass er auch die Macht hat, Einfluss zu nehmen. Er entscheidet zum Beispiel nicht, welche Produkte überhaupt angeboten werden – das tun die Konzerne.“
    „Diese Argumentation hat allerdings einen großen Haken: Der Konsument hat keine Macht.“

    Wie bringst du diese beiden Aussagen in Einklang mit deiner Entscheidung, vegan zu leben?

    1. Ich sehe darin keinen Widerspruch. Die Tatsache, dass inzwischen vegane Produkte angeboten werden, spiegelt zwar wider, dass die Unternehmen auf eine Nachfrage der Konsumenten reagiert haben. Das tun sie aber nur, weil sie sich davon Gewinn versprechen. Es geht ihnen nicht um eine nachhaltige Wirtschaftsform – was für mich ein Grund ist, vegan zu leben.
      Außerdem muss ich mich dem Markt nicht kampflos ergeben, nur weil ich mir bewusst bin, nur durch meine Kaufentscheidungen keine grundlegenden Veränderungen herbeizuführen. Ich muss nicht alles konsumieren, nur weil es angeboten wird – im Gegenteil. Ich kann versuchen, mich so unabhängig wie möglich zu machen von der Fremdversorgung, um das System nicht weiter zu unterstützen. Abgesehen davon könnte ich es inzwischen nicht mehr mit mir vereinbaren, im heutigen System nicht vegane Produkte zu kaufen. Selbst wenn meine Macht sehr begrenzt ist, kann ich trotzdem meinen Prinzipien folgen.

      1. @schlachtreif
        „Die Tatsache, dass inzwischen vegane Produkte angeboten werden, spiegelt zwar wider, dass die Unternehmen auf eine Nachfrage der Konsumenten reagiert haben. Das tun sie aber nur, weil sie sich davon Gewinn versprechen.“

        Genau das dürfte doch aber im Regelfall gemeint sein, wenn von der „Macht des Konsumenten“ gesprochen wird. Da verstehe ich nicht, wie Sie auf die Idee kommen, genau diese Wechselwirkungen zu bestreiten?!

      2. Wechselwirkungen bei Angebot und Nachfrage bestreite ich nicht. Ich bestreite aber, dass die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen eine Rolle spielen. Die Entscheidungen werden je nach Gewinnchance gefällt. Beispiel: Die Konsumenten wünschen sich, dass ihre Geräte länger halten und selten kaputt gehen. Das ist aber unwirtschaftlich, weil sie dann keine neuen Produkte kaufen.

  5. Hey Regine,
    Ich finde die Diskussion auch nicht so zielführend aber ich verstehe schon die Einwände gegen den Greenwashing Effekt des Fair Trade Siegels.

    Eine Empfehlung für Alternativen: Gemeinwohlökonomie von Felber. Finde ich extrem spannend und gut durchdacht.

    Liebe Grüsse und nicht unterkriegen lassen;-)
    Julian

  6. @schlachtreif
    Den nachfolgenden Teil aus dem Stern Artikel hätten Sie aber auch ruhig zitieren können. Eine stärkere Regulierung des Marktes und eine komplette Ablehnung des kapitalischen Systems sind überhaupt nicht dasselbe.

    Gerade der Begriff „Kapitalismus“ hat doch ohnehin im allgemeinen Sprachgebrauch der letzten Jahre eine deutliche Begriffsveränderung erlebt.

    „Kapitalismus“ steht für viele mittlerweile synonym für den sogenannten „Turbokapitalismus“. Eine Kritik daran hat aber bspw. wenig mit Kritik an dem System von Lohnarbeit oder der Möglichkeit von Konsum zu tun.

  7. @schlachtreif
    „Ich bestreite aber, dass die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen eine Rolle spielen.“

    Wenn sich mehr Leute extrem salzige Lebensmittel wünschen, werden auch mehr salzige Lebensmittel verkauft. Inwiefern sollten sich bei derartigen Dingen Bedürfnisse und reale Angebote unterscheiden?

    Das Beispiel mit den Geräten ist leider eines, in dem es gerade nicht um eine Konsumentscheidung geht, sondern sozusagen um die Entscheidung des Konsumenten, möglichst nicht zu konsumieren. Das die Industrie aus einem Selbsterhaltungsprinzip daran kein Interesse hegt, ist nur logisch.

    Das ändert aber nichts daran, dass in nahezu allen Fällen, in denen Konsumenten konsumieren wollen, die Industrie den Konsumwünschen und -vorlieben gerne nachkommen will.

    Wenn Produkte, die unter miserablen Bedingungen hergestellt wurden, wie Blei in den Regalen liegen würden, wäre die Industrie gezwungen ihre Bedingungen zu verbessern (mir ist bewußt, dass dies nicht an dem kapitalistischen System an sich ändert).

  8. Es kann so einfach sein, gegen das System zu sein, wenn man meint, sein Leben nicht ändern zu müssen; wenn man meint, es reicht, im Internet große Töne zu spucken und auf den Euromayday zu gehen.

    Die Leute, die faire Produktionsbedingungen wollen, sind nicht deine Feinde, also lass sie ihren Weg gehen.

    1. Ich kann dir versichern, dass ich sehr wohl bereit bin, mein leben zu ändern und es auch tue, wo es geht. Der blog ist nur ein teil meiner politischen Arbeit – es geht nicht darum, „große töne zu spucken“. Und dass Demonstrationen allein nichts bringen, darauf bin ich im letzten Artikel schon eingegangen. Wie gesagt, kaufe ich ja selber auch fair trade und ich sehe auch in anderen bewussten Konsumenten keine feinde. Man muss sich aber bewusst sein, welche Strukturen dahinter stecken und diese bekämpfen. Sonst greift das Engagement zu kurz und wird auf lange Sicht scheitern.

      1. Der vorliegende Artikel weist nach, dass die Macht über die Produktionsbedingungen bei den Produktionsmittelbesitzern liegt – wer hätte das gedacht – und dass über Handelsfragen tatsächlich der Handel entscheidet. So banal die Feststellung auch erscheinen mag, so richtig und wichtig ist dieser Hinweis. Denn bei vielen Menschen, die weder Tierfabriken, Nähereien oder Handelsketten ihr eigen nennen, ist eine falsche Selbstbezichtigung populär, der zufolge ohne ökonomische Differenzierung „wir alle“ für Ausbeutung, Umweltzerstörung und Lebensmittelvergiftung mitverantwortlich sind, weil „wir alle“ die Dinge kaufen, die andere produzieren lassen um damit Geld zu verdienen.

        Die Autorin benennt die Ursache dafür, dass Agrar-, Industrie,- und Handelskapitale ihre Macht weltweit so zerstörerisch gegenüber Arbeitskräften, der Natur und der Gesundheit der Konsumenten ausüben: Im Kapitalismus geht es um die Vermehrung von Eigentum in Form von Geld (Kapital)! Die um Geldvermehrung bemühten Unternehmer sehen in der Arbeit ihrer Beschäftigten zu Recht die Quelle ihrer Bereicherung. Denn je länger und je intensiver gearbeitet wird und je weniger Lohn die Arbeitskräfte dafür bekommen, desto größer ist ihr Gewinn beim Verkauf der hergestellten Produkte. Durch Rücksicht auf die Gesundheit der Konsumenten, Schonung der Umwelt oder der Produzenten entstehen zusätzliche Kosten, die entweder den Gewinn unmittelbar schmälern oder aber als Preisaufschlag die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Produkte beeinträchtigen und damit mittelbar ebenfalls den Gewinn senken. Und schließlich muss ein Teil der Produkte ja zumindest so billig (und entsprechend belastet) sein, dass man sie auch noch jenen Konsumenten verkaufen kann, an deren Einkommen man als Arbeitskräfte oder überflüssig gemachte Arbeitslose spart.

        Mutig und konsequent zieht die Autorin aus diesen Tatsachen ein paar zwar ganz nahe liegende aber bei vielen Lesern offenbar völlig unbeliebte Schlussfolgerungen:

        1. Trotz der endlosen moralischen Apelle an die Verantwortung der Verbraucher bzw. Käufer ändert sich auf der Welt nichts, weil nicht die gutmütigen Konsumenten, sondern die kapitalistischen Produzenten für die katastrophalen Zustände im weltweiten Kapitalismus verantwortlich sind. Als Käufer – mit zumeist sehr beschränkter Kaufkraft – können die Konsumenten die kapitalistischen Berechnungen mit Lohn, Arbeit, Natur und Umwelt nicht beenden oder behindern sondern immer nur beim besten Warenangebot bedienen.

        2. Wenn die zahllosen Skandale, Katastrophen und Horrorberichte nicht eine endlose Kette von unmoralischen Einzelfällen sind, sondern System haben sollten, dann ist dieses System abzuschaffen.

        3. Wenn die Menschen nicht unterschiedslos von ihrer Einkommenshöhe und Einkommensquelle als „Konsumenten“ sondern als lohnabhängige Beschäftigte dem Kapital ihre Arbeit weltweit verweigern, dann können sie die private Verfügungsmacht der Wenigen über den weltweiten Reichtum und die Produkte der Vielen brechen. Denn die Macht des Kapitals beruht auf der Arbeit und der Armut der mittlerweile weltweiten Arbeiterklasse.

        Gegen diese Schlussfolgerungen werden nun einige Einwände gebracht:

        1. „Was die Autorin schreibt haben andere auch schon gesagt oder noch viel besser geschrieben.“
        – Na und?
        – Hat sie deshalb nicht recht?

        2. „Die Autorin hat leicht reden, sie soll erst mal etwas besseres als „Fair trade“ auf die Beine stellen, bevor sie das Maul so weit aufreißt.“
        – Die Autorin hat nachgewiesen, warum innerhalb dieser Wirtschaftsweise Not und Umweltzerstörung systemnotwendig sind.
        – Sie behauptet nicht, sie sei schlauer als „Fair Trade“ und könne alles besser, sondern sie weist darauf hin, dass man nur mit einer Revolution dem Problem beikommen kann.
        – Überhaupt: So erteilt man den Argumenten einer Studentin einen Maulkorb, indem man – im Wissen um ihre Ohnmacht – sie einfach mal auffordert zu schweigen, solange sie die Welt nicht effektiver „verbessert“ als die etablierten Vereine.

        3. „Die Autorin kritisiert nur, wo bleiben die Alternativen?“
        – Warum sollte es eigentlich nicht erlaubt sein, „nur zu kritisieren“? Man muss schließlich auch kein Koch sein um zu merken, dass die Suppe versalzen ist…
        – Außerdem trifft der Vorwurf gar nicht. Die Autorin verweist ja gerade auf eine Alternative: Revolution! Streik! Weltweite Solidarität der Nichtbesitzenden“. Aber eine solche Konsequenz, die theoretisch und praktisch sicher kein Spaziergang wird, ist den Kritikern offenbar zu unbequem. da ist es doch schöner, im Supermarkt mal einen anderen Kaffee zu kaufen…
        – Schließlich weist die Autorin ihre Leser vielmehr darauf hin, dass sie es sich bei der Rettung der Welt zu leicht machen, wenn sie glauben, „Wir alle“ müssten nur umdenken.

        Fazit: Lauter unsachliche Einwände gegen eine Kritik mit ebenso begründeter wie radikaler Konsequenz gegen die herrschende Weltordnung.
        – Könnte es vielleicht das sein, was die frommen Kritiker in Wirklichkeit stört?
        – Könnte es vielleicht sein, dass sie nur jene „Weltverbesserungsvorschläge“ akzeptieren, die zwar theoretisch haltlos aber dafür so realistisch sind, dass sich niemand und nichts auf der Welt dafür zu ändern brauch?
        – Ist es vielleicht so, dass sie am Ende doch lieber guten Unternehmern noch mehr Geld in deren Taschen füllen bevor sie auch nur einen Euro oder eine Stunde dafür verwenden, diese Wirtschaftsweise zu analysieren oder jene zu unterstützen, die sich gegen ihre Ausbeutung wehren?

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