Scheinbar leiden wir alle an einer besonderen Form des Stockholm-Syndroms, bei dem die Opfer von Geiselnahmen mit der Zeit ein positives Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen, sogar mit ihm sympathisieren und kooperieren. Wir sind kollektiv gefangen genommen worden von der Arbeitsgesellschaft des Kapitalismus. Und obwohl wir eigentlich nach Freiheit und unserem Recht auf Faulheit streben, laufen wir munter weiter im Hamsterrad der Verwertungslogik.
Mit diesem Paradoxon und den Möglichkeiten, es aufzubrechen, beschäftigt sich die Essay-Sammlung „Sag alles ab!“ vom Haus Bartleby, das 2014 gegründete „Zentrum für Karriereverweigerung“. Die vier Initiator*innen versammeln hier unterschiedliche Plädoyers für „den lebenslangen Generalstreik“, für „die Weltrevolution mit Stil“ und für „das Ende der neoliberalen Epoche“. Große Worte, die ein Taschenbuch mit 160 Seiten kaum erfüllen kann.
Persönliche Erfahrungen
Die kurzweiligen Texte nähern sich den Themen Arbeit und Karriereverweigerung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, die meisten leben von persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen. Mal emotional, mal künstlerisch, mal sachlich und nüchtern, gehen sie der Frage nach, wie ein persönlicher Generalstreik aussehen kann. Seien es alternative Bildungsformen, kleine Rebellionen eines Jobcenter-Mitarbeiters, die Anerkennung von unbezahlten Tätigkeiten als Arbeit, die Zurückeroberung von Zeit und Müßiggang, eine Kritik der seriellen Monogamie oder ein kämpferischer Aufruf an Gewerkschafter*innen.
Bullshit-Jobs statt sinnvoller Arbeit
Daneben stehen ökonomische Analysen unter anderem von David Graeber und Yanis Varoufakis, die zeigen, dass der neoliberale Kapitalismus einfach nicht funktionieren kann. Statt zum Beispiel dank des technischen Fortschritts endlich eine drastische Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, werden immer mehr „Bullshit-Jobs“ geschaffen, die keinen anderen Sinn haben, als das System am Laufen zu halten.
Besonders interessant ist der Blick von politischen Aktivist*innen, die sich der Karriereverweigerung bereits verschrieben haben, sich aber dennoch immer wieder neu reflektieren müssen: Unterwerfe ich mich im Aktivismus nicht nur einem anderen Leistungsdruck? Bin ich mir des Privilegs bewusst, dass ich eine Karriere verweigern kann, während andere um ihre Existenz fürchten müssen, weil sie keine Arbeit finden? Welchen Sinn hat ein gewerkschaftlicher Kampf für „gute“ Arbeitsbedingungen, wenn eigentlich das gesamte System grundlegend in Frage gestellt werden müsste?
Neue Denkanstöße, aber kein Patentrezept
Alle Autor*innen sind sich einig, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Sie geben einen Einblick in ihren persönlichen Umgang mit der Herausforderung, „das Alte“ sterben zu lassen und etwas Neues aufzubauen. Die ist offenkundig keine leichte Aufgabe – weder auf individueller noch auf gesellschaftlicher Ebene. Jede*r Leser*in wird sich von anderen Beiträgen angesprochen und inspiriert fühlen, vielleicht einen neuen Denkanstoß bekommen. Ein Patentrezept für einen lebenslangen Generalstreik, für die Weltrevolution findet sich in diesem Buch nicht. Aber immerhin einen Vorschlag, welche Zutaten es braucht.
Haus Bartleby (Hg.): Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik, Edition Nautilius, Hamburg 2015, 160 Seiten, broschiert, ISBN: 978-3-89401-824-5, 14,90 Euro.
Dieser Artikel erschien zuerst in der CONTRASTE – Die Monatszeitung für Selbstorganisation (Ausgabe 11/15).
Die Anleihe bei Melville machte ich auch schon mal……………….
„I would prefer not to…..!“ ……..
wie sollte ich 14,90 investieren? Indem ich ein Buch kaufe, das mir nichts Neues berichtet – den eines glaube ich, jene die sich dieses Buch kaufen, wissen was dort geschrieben steht, jene die es lesen sollten, können es sich nicht leisten, bzw. wissen nicht einmal das es existiert.
Ob Suffiziensfuzzi oder LOVOS-Jünger, das alles genügt nicht, durch die Partizipation am Markt nehmen die Autoren ihren Generalstreik schon mal nicht besonders ernst.
Sorry, Leute, solange ihr die Annehmlichkeiten der Konsumgesellschaft nicht verweigert, sondern nur davon redet und schreibt, solltet ihr Bartleby nicht vergewaltigen!
Leute wie Varoufakis hocken fett auf dem Karussell der Eitelkeiten https://oberham.wordpress.com/2015/11/07/das-karussell-fuer-eitle-trottel/
…. und gegen Geld zu schreiben, finde ich nicht minder pervers – es nötigt allen Lesern die Partizipation am System ab, damit sie das auch lesen dürfen (….. nicht jeder erbt Geld…..).
… hier gibt’s Gedanken dazu gratis (ok…. wer seinen Akku zuhause lädt, der muss Strom zahlen – und wer ein eigenes Gerät hat, das Gerät….. – meines ist vom Schrott und selbst repariert, der Akku wird „fremdgeladen“ – ich besorge den Strom kreativ…..)
https://oberham.wordpress.com/2013/10/25/sein-sein-menschsein-sein/
Im Übrigen – Konsequente Verweigerung ist nicht so einfach! –
wäre ich ganz konsequent würde ich mir diese Schreibtherapie auch nicht erlauben.
Aber ich glaube niemand der hier liest konsumiert weniger als ich und natürlich könnten wir, würden wir gemeinsam eine andere Gesellschaft gestalten, Vieles genießen, was man eben in diesem System verweigern muss, da es aus einer dreckigen Quelle sprudelt!
Insofern, versucht wirklich konsequent jede Teilnahme am ökonomischen Irrsinn zu vermeiden!
(d.h. auch keinen Latte beim Italiener, keine Reisen, keine Bücher für 14 Euro!)
Widerstand ist keine Belustigungsveranstaltung!