Wenn eine neue Person in eine Kommune einsteigt, kann das ohne große Diskussionen vonstatten gehen – wenn sich die anderen Kommunard*innen schnell einig sind über den Einzug und sich auf das Zusammenleben mit der neuen Person freuen. Doch was passiert, wenn es diese Einigkeit nicht gibt? Wenn die einen sich einen Einstieg wünschen und die anderen ihn sich nicht vorstellen können? Und welche Themen stecken mitunter hinter dieser Meinungsverschiedenheit?
Seit meinem eigenen Einstieg in die Kommune sind jetzt eineinhalb Jahre vergangen. Langsam komme ich in der Rolle an, dass auch ich über Einstiege entscheide und mich bei jeder neuen Person fragen muss: Will ich mit dir leben? Im Moment macht sich vor allem ein Gefühl der Überforderung breit, weil ich nicht weiß, an welchen „Kriterien“ ich mich orientieren soll. Irgendwie reicht es nicht aus, nach meiner Sympathie für einen Menschen zu forschen – und das ist ja mitunter schon schwierig genug.
Nein, es kommen noch gewisse Erwartungen hinzu, die ich an Menschen habe, mit denen ich in Kommune leben möchte. Aber sind diese Erwartungen überhaupt gerechtfertigt? Sollte das Projekt nicht jedem Menschen die Möglichkeit geben, sich einzubringen und sich zu entwickeln?
Das Gleichgewicht in der Gruppe
Welche Rolle spielt das Gesamtgefüge und wann kommt es für mich zu einem Ungleichgewicht? In welcher Gruppenzusammensetzung fühle ich mich wohl – und sollte das ausschlaggebend sein? Wo möchte ich mit diesem Projekt eigentlich hin? Fragen über Fragen, die mir gerne mal über den Kopf wachsen.
Ich bin mit einer bestimmten Intention in eine Kommune gezogen. Für mich ist das Leben hier ein gesellschaftspolitisches Experiment: Wir entscheiden im Konsens und wir wirtschaften gemeinsam – zwei Prinzipien, die uns von anderen alternativen Wohnformen unterscheiden. Wir verstehen uns als politische Kommune, weil wir nicht nur für uns selbst ein anderes Leben gestalten wollen, sondern weil wir eine Utopie von Gesellschaft haben, die ohne Hierarchien und ohne Herrschaft funktioniert; in der Menschen kooperativ und solidarisch miteinander wirtschaften, anstatt sich selbst und die Natur auszubeuten; in der jede*r seine Bedürfnisse befriedigen kann, ohne dass andere Erdteile oder andere Generationen den Preis dafür zahlen müssen.
Ideen in die Tat umsetzen
Das System, in dem wir heute leben, ist ein Verbrechen. Es ist verantwortlich für Hunger, Armut, Krieg, Klimawandel und Umweltzerstörung. Kapitalismus tötet – so plakativ das klingen mag. Und genau das wollen wir nicht länger hinnehmen. Wir wollen nicht zuschauen, wie alles den Bach runtergeht, denn wir haben zumindest eine Idee, wie es anders gehen könnte. Und unsere Kommune ist eine Möglichkeit, diese Idee in die Tat umzusetzen. Wir versuchen Tag für Tag, diese Alternative am Laufen zu halten und damit in die Gesellschaft hineinzuwirken, auch wenn (oder gerade weil) uns bewusst ist, dass wir in „feindlicher“ Umgebung leben.
Diese politische Komponente wird nicht immer sichtbar, natürlich ist vieles im Kommuneleben auch einfach Alltag. Wenn wir gemeinsam essen, wenn wir Putzdienste verteilen, wenn wir ein Sommerfest organisieren oder wenn wir einen Film schauen, dann geht es nicht immer um die große Revolution. Oft geht es auch einfach um das Miteinander, um einen netten Abend, um Freizeit – und das ist auch gut so. Schließlich ist die Kommune unser Zuhause, wo wir Kraft tanken. Hier sollte der Ort sein, wo auch persönliche Sorgen und ein kleiner Plausch ihren Raum haben, ohne dass wir uns ständig den Kopf über die großen Probleme der Welt zerbrechen müssen.
Das Private ist politisch
Aber: Es geht hier – so verstehe ich die politische Kommune – eben nicht nur um unser eigenes Wohlbefinden. Ich mache Kommune nicht zum Selbstzweck. Natürlich ist es hilfreich und angenehm, wenn es mir persönlich gut geht. Dann habe ich mehr Kraft für politische Aktivitäten, die sehr zeit- und kräftezehrend sein können. Aber ich möchte meine Kraft nicht nur darauf verwenden, mir ein möglichst schönes Zuhause zu schaffen, meine Persönlichkeit ständig zu reflektieren und zwischenmenschlich aktiv zu sein. Ja, die Gruppe ist mir wichtig. Und ja, ich möchte auch an sozialen Prozessen teilnehmen. Aber ich kann und will das Außen nicht vergessen.
Ich möchte nicht in einer Kommune wohnen, in der es nur noch darum geht, persönliche Erfahrungen zu machen, mein Selbst zu ergründen und / oder das große Ganze zu spüren, um meinen Frieden mit der Welt zu machen. Denn in der Welt herrscht kein Frieden! Und ich möchte auch nicht so tun, als ob. Ich möchte nicht nur aus dem Fenster schauen, um mich an unserem schönen Garten und dem Sonnenschein zu erfreuen. Ich möchte aus dem Fenster schauen, um zu sehen, was um um mich herum passiert und um nicht zu vergessen, was zu tun ist. Ich möchte darum kämpfen, dass sich etwas ändertt und nicht irgendwann das Gefühl haben, ich habe mich eigentlich nur um mich selbst gekümmert, während die Welt vor die Hunde ging. Vielleicht wird sie das trotzdem tun, aber ich werde zumindest nicht kampflos dabei zusehen.
Diskussionen und Aktionen
Dieser Rundumschlag macht vielleicht deutlich, woher die Ansprüche kommen, die ich an meine Mitbewohner*innen habe. Ich habe tatsächlich Schwierigkeiten damit, wenn Menschen für Gesellschafts- und Kapitalismuskritik nichts übrig haben. Wenn sie nicht nachvollziehen können, warum mir bestimmte Dinge wichtig sind und ich ab und zu daran erinnere.
Ich wünsche mir, dass ich mich mit den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, über politische Themen diskutieren kann. Ich wünsche mir, dass ich mich für bestimmte Verhaltensweisen oder Überzeugungen nicht mehr rechtfertigen muss, sondern dass ich mir zumindest bei den meisten meiner Mitkommunard*innen sicher sein kann, dass sie diese mit mir teilen. Ich möchte mich nicht unwohl fühlen müssen, wenn ich ein klares politisches Statement abgebe. Und ich würde gerne gemeinsame Positionen entwickeln, vielleicht gemeinsame Aktionen machen oder Präsenz zeigen bei Aktionen anderer Gruppen. Ich finde es toll, wenn ich über meine Kommune viele Einblicke und Kontakte in andere Politgruppen habe und weiß, wen ich für welche Anliegen ansprechen kann.
Über die Sympathie hinaus
Aber zurück zur Ursprungsfrage: Was, wenn ein Einstieg umstritten ist? Den Gruppenprozess kann und will ich hier nicht abbilden. Vielmehr geht es darum, wie ich selbst zu einer Position finde, wenn ich unsicher bin, ob eine Person einsteigen soll oder nicht.
Vielleicht ist mir die Person sehr unsympathisch oder bereitet mir persönliche Probleme. Ich möchte nicht, dass sie in meiner Nähe ist. Ich möchte nicht, dass sie Teil der Gruppe wird, auch wenn andere ganz wunderbar mit ihr auskommen. Möglicherweise finde ich aber gar keinen triftigen Grund, etwas gegen die Person zu sagen. Auch wenn sie mir nicht sonderlich sympathisch ist und ich nicht viele Berührungspunkte mit ihr habe, könnte ich einem Einstieg zustimmen, wenn genug andere Menschen sie als Bereicherung für das Gemeinschaftsleben empfinden.
Genug Bezugspersonen mit gewisser Schnittmenge
Vielleicht könnte ich mit dem Einstieg der Person leben, aber bin nicht sicher, welche Auswirkungen das auf die Gesamtgruppe hat. Mit wie vielen Menschen möchte ich leben, die ich nur „ok“ finde? Wie viele Bezugspersonen brauche ich in der Gruppe, mit denen ich eine gewisse Verbindung und Schnittmenge habe? Welche Themen sollten meiner Meinung nach abgedeckt sein und welche kommen im Moment oder dauerhaft zu kurz? Und was, wenn ich irgendwann selbst das Gefühl habe, mit meinen Anliegen, mit meiner Lebensplanung oder meiner politischen Meinung nicht mehr in die Gruppe zu passen? Ist das dann einfach mein Problem, weil die Gruppe sich eben so entwickelt hat?
Oder ist am Ende die ganze Diskussion hinfällig? Vor kurzem sagte jemand zu mir, er begrüße alle neuen Menschen herzlich in seiner Kommune, weil er inzwischen sehr häufig die Erfahrung gemacht habe, sich in neuen Kommunard*innen völlig getäuscht zu haben. Es sei müßig, darüber nachzudenken, wie und ob Menschen sich entwickeln. Vorher könne mensch das einfach nicht wissen. Allerdings leben in der besagten Kommune auch über 60 Menschen. Das ist natürlich eine andere Situation als in einer Gruppe mit 15 bis 20 Personen.
Heterogenität als Qualität
Und aus einer anderen Kommune hieß es wiederum: „Es ist doch eine Qualität, wenn wir Menschen einfach durchwinken und sie in die Gruppe aufnehmen. Das ist mir lieber als ein Hang zur Homogenität.“ Auch diesem Statement kann ich etwas abgewinnen. Natürlich ist eine heterogene Gruppe wünschenswert, zumal sich in einer solchen wahrscheinlich genau die Konflikte bearbeiten lassen, die auch in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen auftauchen. Aber es bleibt die Frage: Wie viele solcher Konflikte möchte ich in meinem persönlichen Umfeld tagtäglich austragen? Und wäre es nicht – auch im Sinne der freiwilligen Vereinbarungen der anarchistischen Theorie – hilfreicher, wenn sich die Menschen zusammentun, die eine ähnliche Auffassung vom Leben im Gemeinschaft haben?
Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mich weiter mit diesen Fragen zu beschäftigen, um herauszufinden, was mir wichtig ist – und welche Kompromisse ich eingehen kann. Revolution kann ich sicher nicht immer nur mit Menschen machen, die ich mag. Umso wichtiger ist es aber, dass auch diese Menschen ein ähnliches Ziel verfolgen wie ich.
Weiterlesen:
„Kommune: Eine bewusste Entscheidung“ über meinen eigenen Einstiegsprozess
Ich lese, dass du es dir mit einer Entscheidung wie oben beschrieben nicht einfach leicht machst. Das gefällt mir und ich finde es sinnvoll, mit Entscheidungen solcher Tragweite im Leben auf eine angemessene Weise umzugehen. Und das beinhaltet erst einmal, dass ich mir bewusst mache, welche Motive mich zu dieser oder jener Entscheidung leiten mögen. Und dieser Prozess ist auch bereits wertvoll.
Das Thema „Wie Entscheidungen treffen?“ begegnet mir ziemlich oft, beruflich mit Menschen, die damit vor mir sitzen wie privat, wenn ich selbst Fragezeichen über dem Kopf habe.
Die Wahl zu spüren im eigenen Leben ist ebenfalls ein spannendes Thema (und aus meiner Sicht und Erfahrung eine enorme psychische Ressource).
In meinem Blog schreibe ich dazu. Wer mag, liest hier:
https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2015/02/03/entscheide-dich/
https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2014/08/28/sie-haben-die-wahl/
Regine, dir wünsche ich ganz viel Zufriedenheit mit deiner Entscheidung, wenn sie denn gefallen ist. Menschen stellen sich Fragen, engagiert. Gut so! Cooler Artikel.
Hallo Mädchen,
um wirklich etwas zu verändern, bräuchte es ein völlig anderes Wirtschaftssystem.
Doch davon sind die allermeisten heutigen Menschen weiter entfernt als jemals zuvor.
Deshalb wird es stattdessen einen 3.Weltkrieg geben, den auch hierzulande nur relativ wenige überleben werden.
Mit freundlichen Grüßen
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