Kassel: Waffen für Kriege in aller Welt

Manchmal fahren sie durch die Stadt, oft in den frühen Morgenstunden: Panzerfahrzeuge in Tarnfarben auf ihrem Weg in Kriegseinsätze auf der ganzen Welt. Produziert werden sie quasi direkt vor unserer Haustür, in den Kasseler Fabriken von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. Diese Firmen profitieren nicht nur von europäischer und globaler Aufrüstung, die seit einigen Jahren stetig zunimmt. Sie ziehen auch ihren Nutzen aus der Geheimhaltung von Rüstungsexporten auf Bundesebene sowie aus dem deutlichen Schweigen in der lokalen Öffentlichkeit.

Der erste von zwei Schwarzen Tresen zum Thema „Antimilitarismus“ wollte dieses Schweigen zumindest zweitweise brechen. Die Kasseler Gruppe A&O hatte den Politikwissenschaftler Malte Lühmann eingeladen, der im Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) aktiv ist. Er gab im Kollektivcafé Kurbad einen Überblick über die deutsche Aufrüstung, die Strukturen des Rüstungsstandortes Kassel sowie politische Netzwerke, die Rüstungsexporte erst möglich und profitabel machen. Im Anschluss diskutierten die rund 40 Zuhörer*innen mögliche Protest- und Widerstandsformen.

„Gauckismus“ und „deutsche Verantwortung“

Deutschland ist aktuell mit 3300 Soldat*innen in 15 Auslandseinsätzen vertreten. Der größte Einsatz läuft immer noch in Afghanistan. Diese verstärkte Präsenz der Bundeswehr findet seit einigen Jahren im Rahmen eines bestimmten Diskurses statt, der häufig mit dem Stichwort „Gauckismus“ in Verbindung gebracht wird. Bundespräsident Gauck sprach bei der Münchener Sicherheitskonferenz davon, dass Deutschland wieder Verantwortung übernehmen und für Sicherheit in der Welt sorgen müsse. Als Profiteur der Globalisierung müsste das Land sich für die Aufrechterhaltung des Systems stark machen.

Parallel dazu ist der deutsche Rüstungshaushalt seit 15 Jahren stetig gewachsen. Wurden im Jahr 2000 rund 23,8 Milliarden Euro ausgegeben, werden es 2020 schon 39,2 Milliarden sein – trotz Sparauflagen. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in der EU beobachten. Der Brexit könnte dabei eine neue Chance für die europäische Militarisierung sein, da Großbritannien sich bisher gegen eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik gewehrt hat.

Panzer für Saudi-Arabien

Gute Aussichten also für die Kasseler Rüstungsindustrie. Krauss-Maffei Wegmann beschäftigt in Kassel rund 1400 Mitarbeiter*innen (von ingesamt 4000). Der Hauptsitz des Konzerns ist in München, weitere Standorte befinden sich unter anderem in Singapur, Brasilien und der Türkei. Aktuell steht eine Fusion mit dem französischen Rüstungsbetrieb Nexter an – ein Schritt in Richtung europäischer Konsolidierung für den Weltmarkt.

KMW ist keine Aktiengesellschaft, sondern im Besitz einer Familienholding. Das bedeutet auch, dass die Berichtspflichten des Unternehmens weniger umfangreich sind. KMW wurde vor allem bekannt aufgrund der umstrittenen Exporte von Leopard II Panzer an Saudi-Arabien.

Kein schlechtes Gewissen

In einem Interview stellt Geschäftsführer Frank Haun aber klar, dass es keinen Grund gibt, die moralische Integrität von KMW in Frage zu stellen. Da Unternehmen sei „keine Waffenschmiede“, sondern stelle nur die „wehrtechnischen Produkte“ her, die deutsche Soldat*innen in ihren Einsätzen brauchen. Er habe kein schlechtes Gewissen, schließlich ginge jedem Export ein politischer Prozess voraus. KMW halte sich an den gesetzlichen Rahmen.

Ebenfalls in Kassel vertreten ist die Sparte Defence des Düsseldorfer Unternehmens Rheinmetall, das sich unter anderem um Entwicklung, Bau und Wartung von Panzerfahrzeugen kümmert. In Kassel sind rund 850 Menschen bei Rheinmetall angestellt, weitere Standorte liegen zum Beispiel in Kanada, Australien und Südafrika. 2015 machte der Konzern 68 Prozent seines Umsatzes außerhalb Europas und steht somit stellvertretend für die gesamte deutsche Rüstungsindustrie.

Geopolitik mit Rüstungsexporten

Im Schnitt, so Malte Lühmann, basiere 70 Prozent des Umsatzes auf Exporten. So liefert KMW zum Beispiel 62 Leopard 2 Kampfpanzer, 24 Panzerhaubitze 2000, 32 Fennek Spähwagen und 13 Dingo-Fahrzeuge an Katar – ein Land mit absolutistischer Monarchie, das während des Arabischen Frühlings Aufstände in Bahrain niedergeschlagen hat, im Jemen intervenierte und an den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen beteiligt war und ist.

Ein weiteres Beispiel ist der Verkauf von 54 Transportpanzern von Rheinmetall an Algerien. Dort wird aktuell eine eigene Panzerfabrik für 2,7 Milliarden Euro gebaut. Algerien grenzt an Mali und die Sahelzone. Die Exporte sollen unter anderem der „Bekämpfung des Terrorismus und Sicherung der Grenzen“ dienen. Offiziell dürfen die Rüstungsgüter nicht weiter exportiert werden, doch da diese Vorgabe nicht überwacht wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie trotzdem weiterverbreitet werden. So kann die BRD mit Rüstungsexporten geopolitisch Einfluss nehmen, ohne eigene Soldat*innen zu schicken.

Konsensbildung im kleinen Kreis

Die Entscheidungen für solche Projekte werden nur in kleinen Kreisen getroffen, sagt Malte Lühmann. Die „Rüstungs-Community“ umfasst Politik, Industrie und das Militär. Wichtig ist vor allem, dass die Konsensbildung über einzelne Legislaturperioden hinweg gut funktioniert, weil die Produktion und Auslieferung oft Jahre dauert. Über Parteispenden, Vereine und Organisationen, Fachpresse, die Finanzierung von Expertise und viele informelle Kontakte wird sichergestellt, dass politische Vereinbarungen zugunsten der deutschen Rüstungsindustrie ausfallen.

Welche Ansatzpunkte gibt es also, um gegen die Rüstungsindustrie in Kassel und anderswo aktiv zu werden? Malte Lühmann plädiert dafür, die wirtschaftlichen Strukturen sichtbar zu machen (die lokalen Zuliefer-Betriebe eingeschlossen) und die innerstädtische Debatte wieder auf die Frage zu lenken, ob Kassel eine Stadt bleiben soll, die Krieg und Gewalt exportiert. An der Universität gibt es bereits den AK Zivilklausel, der sich dafür einsetzt, dass an der Uni Kassel keine Forschung für militärische Zwecke stattfindet. Die studentische Initiative „Divest Uni Kassel“ möchte die Finanzanlagen der Uni Kassel transparent zu überprüfen und kritisch hinterfragen, ob Geld in Rüstung oder Kohle investiert wird.

Kein Recht auf Panzerbau

In der Diskussion geht es dann vor allem daru, wie die Debatte in Kassel wieder ins Rollen gebracht werden kann, vor allem da die lokale Berichterstattung sich regelmäßig positiv über die Bedeutung und Erfolge der Rüstungsbetriebe äußert und die städtische Politik deutlich schweigt. Einige Aktivist*innen erinnerten an die sehr erfolgreichen Aktionen zur letzten documenta (2012). Die Kunstausstellung ließe sich im nächsten Jahr sicher wieder gut für öffentlich wirksamen Protest nutzen. Das Klima in der Stadt könnte zudem über viele Wege verändert werden: Schüler*innen und Lehrer*innen, die sich mit Bundeswehr-Besuchen an ihrer Schule auseinandersetzen; Mitarbeiter*innen und Werksstudent*innen der beiden Unternehmen; Umgestaltung von Werbematerialien der Bundeswehr; Störung von Infoständen; Demonstrationen und Veranstaltungen. „Es ist egal, ob eine Mehrheit in Kassel sich positiv oder gar nicht äußert. Es gibt kein Recht auf Panzerbau!“, fasst ein Aktivist für sich zusammen.

Die DFG-VK lädt am 15. Dezember Dezember alle Interessierten zu einem Treffen ein, um gemeinsam über mögliche Aktionen in 2017 zu sprechen. Infos gibt es per Mail: kassel@dfg-vk.de oder kassel_A@riseup.net

Anarchismus und Antimilitarismus

Der nächste Schwarze Tresen findet am Freitag, 2. Dezember, um 20 Uhr im Kollektivcafé Kurbad statt. Dieses Mal geht es um die Blockadekampagne „Büchel atomwaffenfrei“ und die Möglichkeiten von gewaltfreiem Widerstand gegen Militarisierung.

Als Anarchist*innen möchten wir Herrschaftsstrukturen sichtbar machen und abbauen. Militarismus ist ein notwendiger Bestandteil von Staats- und Wirtschaftsmacht, denn nationale wie internationale Herrschaftsstrukturen können nur mit Gewalt aufrechterhalten werden. Der anarchistische Antimilitarismus hat eine lange Geschichte. Er erlangte mit dem Anwachsen der Arbeiter*innenbewegung in Europa ab 1890 gesellschaftliche Bedeutung.

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