Morgens in unserer WG-Küche: Ich stehe neben dem Herd und schneide eine Banane klein. Es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee. Hm, lecker! Doch dann denke ich plötzlich: Wäre ein solches Frühstück überhaupt noch möglich in einer Welt, wie ich sie mir wünsche? Können wir überhaupt noch Bananen und Kaffee konsumieren, wenn wir wirklich nachhaltig und solidarisch leben wollen? Kann der globale Handel so gestaltet werden, dass er niemandem schadet? Oder heißt es dann ganz konsequent: regional und saisonal?
Mit diesen Fragen kam ich über Unwege zum Thema meiner Masterarbeit. Ich studiere „Nachhaltiges Wirtschaften“ an der Uni Kassel und will im Frühjahr meine Abschlussarbeit abgeben. Der Studiengang ist ziemlich interdisziplinär aufgestellt, das heißt ich konnte viele Kurse frei nach Interesse und aus anderen Fachbereichen wählen. Streng genommen studiere ich Wirtschaftswissenschaften – ein recht hartes Pflaster für „Gutmenschen“. Aber in den Kursen der Politikwissenschaftler*innen fühlte ich mich ganz wohl. Und so konnte ich mich im letzten Semester mit spannenden Themen wie Degrowth und Post-Development beschäftigen. Letzteres wird nun auch die theoretische Grundlage der Arbeit.
Was ist eigentlich „Entwicklung“?
Der Post-Development-Ansatz kritisiert das Entwicklungsparadigma des globalen Nordens, also der reichen und entwickelten Industrieländer wie den USA und Deutschland. Dieses Paradigma entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als der US-Präsident in einer Rede Millionen von Menschen als unterentwickelt bezeichnete. Von nun an ging es darum, die so genannten Entwicklungsländer mithilfe von Wirtschaftswachstum auf den richtigen Weg zu bringen. Neben ökonomischer Vorherrschaft sorgte das Verständnis von Entwicklung auch für eine Homogenisierung von Wissen(schaft) und Kultur. Alles, was nicht westlich ist, gilt nicht als fortschrittlich. Die Ergebnisse sehen wir heute.
Im Post-Development wird dieses Paradigma deutlich hinterfragt. Es geht darum, lokales Wissen und lokale Praktiken anzuerkennen und etablierte wissenschaftliche Diskurse mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Der Ansatz versteht sich als praxisorientiert, weil er auf das Engagement von lokalen und pluralistisches Graswurzelbewegungen im globalen Süden aufbaut.
Wer mehr dazu lesen will, dem kann ich das Kapitel über Post-Development im Buch „Degrowth in Bewegung(en)“ sehr empfehlen. Dort werden auch noch viele andere Bewegungen vorgestellt und in Beziehung zu Degrowth gestellt – lesenswert!
Kaffee-Exporte der Zapatistas
Was hat das jetzt alles mit meinem Frühstück zu tun? Ich würde gerne herausfinden, ob es Handelsbeziehungen geben kann, die die Kritik des Post-Development aufgreifen und in die Praxis umsetzen. Ausgangspunkt waren für mich die Zapatistas in Mexiko. Mit ihren autonomen und selbstorganisierten Strukturen, ihrer Hierarchiefreiheit und Kapitalismuskritik gelten sie als eine Graswurzelbewegung des Post-Development. Gleichzeitig produzieren sie Kaffee für den Weltmarkt.
Eine Vielzahl von Kaffee-Kollektiven in Europa kooperieren mit den Zapatistas und vertreiben hier ihren Kaffee, z.B. Aroma Zapatista in Hamburg. Laut ihrem Selbstverständnis sind sie solidarisch mit dem Widerstand der Zapatistas und wollen auf Augenhöhe mit ihnen zusammenarbeiten. Wie das konkret aussieht, das soll meine Masterarbeit zeigen. Denn die Haltung und die Praktiken im solidarischen Handel von Aroma Zapatista grenzen sich klar von denen ab, die im Fairen Handel (gemeint ist hier vor allem das Fair Trade-Siegel der FLO) vorherrschen.
Antikapitalismus und Solidarität
Auch wenn die ökonomischen Merkmale sich ähneln (Mindestpreis für Kaffee, Vorfinanzierung des Anbaus, Sonderzahlungen für Projekte), ist die politische Haltung doch eine ganz andere. Das zeigt sich schon daran, dass Aroma Zapatista ein Kollektiv ist, das nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und hierarchiefrei arbeiten möchte. Sie haben direkten und persönlichen Kontakt zu den Zapatistas und orientieren sich an den Bedürfnissen der Kaffeebäuer*innen.
Der Faire Handel, der in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen ist, hat sicherlich auch vielen Kleinbäuer*innen geholfen, ihr Einkommen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Nichts desto trotz ist es ein Projekt von Menschen aus dem globalen Norden, in dem die Produzent*innen bis heute nicht viel zu sagen haben. Kritiker*innen betonen, dass Fairtrade-Produkte einen Nischenmarkt bedienen, der vom Interesse der Konsument*innen begrenzt wird. Und dass die ursprünglichen Ideen des fairen Handels, nämlich ein anderes Weltwirtschaftssystem aufzubauen, auf der Strecke geblieben sind, als das globale Zertifizierungssystem eingeführt wurde.
Im statt gegen das System
Die direkten Kontakte von solidarischen Gruppen zu den Produzent*innen wurden ersetzt durch ein Siegel und einen Kriterienkatalog, der den Einstieg in den fairen Handel erschwert. So profitieren davon nur einige wenige, während andere weiterhin von den stark schwankenden Weltmarktpreisen abhängig sind. Statt gegen das System, agiert der faire Handel nun stärker im System – vor allem, wenn große Firmen wie z.B. Starbucks sich mit fairen Produkten „reinwaschen“ können, obwohl sie ansonsten vollkommen auf kapitalistischer Linie sind. Paradoxerweise gibt es für die Händler*innen im globalen Norden einen nicht annähernd so strengen Anforderungskatalog wie für die Produzent*innen im Süden.
Trotz dieser Kritik versuche auch ich oft faire Produkte zu kaufen. Ganz einfach, weil es das kleinere Übel ist und ich hoffe, dass die Menschen dann zumindest ein ausreichendes Einkommen haben. Sicher sein kann ich mir aber nicht, auch wenn auf der Verpackung eine lächelnde Bäuerin abgebildet ist.
Dilemma des Konsums
Ich finde es inspirierend und ermutigend, Texte von und über die Zapatistas zu lesen – und ich bin sehr gespannt auf das Gespräch mit den Kaffee-Kollektivist*innen in Hamburg. Gleichzeitg ist es ernüchternd, mich mit der vorherrschenden Theorie des internationalen Handels und mit der deutschen Kolonialgeschichte in Mexiko auseinanderzusetzen. Und natürlich bleibt am Ende noch die Frage, ob ich mit diesem Wissen überhaupt noch Produkte aus dem globalen Süden konsumieren sollte / will. Schwierig! Ein Dilemma, das sicher auch andere kennen, oder?
Bis vor kurzem habe ich ziemlich viel Kaffee getrunken, ohne großartig darüber nachzudenken. Dann habe ich ein paar Wochen bewusst darauf verzichtet, um zu schauen, wie das so ist. Gar nicht so schwer, eigentlich! Aber wäre es im Sinne der Zapatistas, wenn wir alle auf Dauer keinen Kaffee mehr trinken (mal abgesehen davon, dass das relativ unrealistisch ist)? Laut einem Kollektivisten wollen sie Kaffee anbauen, um mit dem Geld Dinge zu bezahlen, die über ihre Subsistenzwirtschaft hinausgehen, z.B. Gesundheitsdienste oder Kommunikationsmittel. Also lautet die Schlussfolgerung: Kaffee trinken, ja, aber bewusst und solidarisch gehandelt? Für mich fühlt sich das im Moment stimmig an. Bis ich mich um die nächste Baustelle kümmere: die Bananen…
vielen dank für diese gedanken.
die masterarbeit würde ich sehr gerne lesen.