Freiheit, die mensch nicht kaufen kann

„Ich könnte das ja nicht!“ Diesen Satz bekomme ich häufig zu hören, wenn ich davon erzähle, dass ich in einer gemeinsamen Ökonomie lebe. Es mutet für meine Gesprächspartner*innen wie ein Verlust von Freiheit an, wie ein unrechtmäßiger Eingriff in ihre Autonomie. In unserer Gesellschaft sind Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung wichtige Werte. Leider sind sie viel zu oft mit unseren finanziellen Möglichkeit verknüpft. Geld macht frei, auf eine bestimmte Art und Weise.

Auch ich kenne dieses schöne Gefühl: sich etwas leisten können, in Urlaub fahren, niemanden mehr nach Taschengeld fragen müssen, unabhängig sein. Darauf arbeiten wir alle hin. Wir wollen unser eigenes Geld verdienen, ein eigenes Leben führen. Die Vorstellung, sich von jemandem reinreden zu lassen, sich vielleicht sogar rechtfertigen zu müssen, scheint ein Rückschritt, eine Einschränkung zu sein.

Ja, vielleicht ist es das. Indem wir unser Geld zusammenschmeißen und gemeinsam über seine Verwendung entscheiden, gebe ich ein Stück meiner Autonomie auf. Ich lasse mich auf Diskussionen ein, ich muss meinen Konsum kritisch hinterfragen – das macht nicht immer Spaß. Mein Verhalten hat nicht mehr nur Konsequenzen für mich, sondern für die ganze Gruppe.

Zum Glück steckt eine Idee dahinter, eine Utopie, die mich motiviert, die gemeinsame Ökonomie fortzusetzen: Menschen sollten ihre Bedürfnisse befriedigen können, unabhängig davon, was sie verdienen oder „leisten“. In unserem kapitalistischen System hängt so gut wie alles von meinem Einkommen ab. Was ich mir nicht leisten kann, bleibt mir vorenthalten – selbst wenn ich 40 Stunden gearbeitet habe. Und ich rede hier nicht nur von Luxux-Gütern! Ich rede hier auch von angemessenem Wohnraum, von gesunden Lebensmitteln, von Gesundheitsleistungen, von Kultur und von Freizeit. Ich muss arbeiten, ich muss Geld verdienen, um meine Bedürfnisse zu erfüllen.Diese Kopplung können wir aufheben – wenn wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass alle das haben, was sie bauchen. (Was das ist und welche „Bedürfnisse“ nicht nur Strategien zur Erfüllung derselben sind, ist ein anderes Thema.)

In der gemeinsamen Ökonomie verschwimmt der direkte Zusammenhang von Einkommen und Wohlbefinden. Wir finanzieren gemeinsamen Wohnraum, Lebensmittel, Mobilität und persönliche Ausgaben. Ich muss keine Angst haben, meine Wohnung, weil ich ein paar Monate meine Miete nicht bezahlen kann. Ich muss mir keine eigene Waschmaschine und auch kein Auto zulegen, weil wir solche Gegenstände teilen – was überdies noch effizienter und nachhaltiger ist. Ich habe Räume zur Verfügung, die ich mir alleine nicht leisten könnte. Und: Ich muss nicht jeden x-beliebigen Job annehmen, um über die Runden zu kommen. Nicht nur meine Erwerbsarbeit spielt eine Rolle, sondern auch Sorgearbeit, kulturelle oder politische Arbeit. Sie bringen zwar kein Geld ein, werden von der Gruppe aber ebenso wertgeschätzt und unterstützt. Der Kapitalismus setzt auf „Teile und herrsche!“, während wir stärker und widerstandsfähiger werden, weil wir uns zusammentun.

Trotzdem muss am Ende des Tages die Rechnung aufgehen, keine Frage. Auch wir müssen Rechnungen bezahlen und unseren Lebensunterhalt sichern – weil wir nicht autark und immer noch ein Teil des Systems sind. Wir müssen Dinge kaufen, auch wenn wir in ein solidarisches Netz anderer Gruppen eingebunden sind. Steht unter’m Strich ein Minus, sind wir alle dafür verantwortlich. Und bei allem Wohlwollen, das wir uns entgegenbringen, wabern trotzdem Ansprüche durch den Raum: Wie viel muss ich verdienen? Sollte ich nur so viel ausgeben, wie ich verdiene? Womit verbringen ich meine Zeit, während andere Geld verdienen? Welche Ausgaben möchte ich mittragen und welche nicht?

Das sind Fragen, die mich mehr oder weniger häufig beschäftigen, und auf die es nicht immer eine zufriedenstellende und schnelle Antwort gibt. Unsere kapitalistische Sozialisation legen wir eben nicht von heute auf morgen ab – und selbst wenn, bleiben wahrscheinlich trotzdem bestimmte Motivationen und Erwartungen übrig, die sich in unserem Zusammenleben auswirken. Ich bin neugierig, welche das sind und wie wir mit ihnen umgehen können, denn ich halte solidarische Formen des Wirtschaftens für eine nötige Alternative.

Manchmal denke auch ich: „Das kann ich nicht!“ Häufig wurde ich schon eines Besseren belehrt und musste zugeben, dass der Satz ehrlicherweise lautete: „Ich will das nicht!“ Und dann kann ich mich fragen: Warum eigentlich nicht?

Diese Kolumne erschien zuerst in der Ausgabe 4/19 von OXI – Wirtschaft anders denken. Link: oxiblog.de

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