Rein in die Nische

Es ist ja immer so eine Sache mit Projekten in der Nische: Einerseits versprühen sie einen Optimismus, der bei der allzeit beklagten Alternativlosigkeit sehr erfrischend daherkommt. Es gibt sie also doch noch – diese Menschen, die nicht nur daran glauben, dass es anders geht, sondern es auch wirklich anders machen! Andererseits brauchen diese Projekte eine Menge Energie. Die Beteiligten müssen ein dickes Fell entwickeln, um ungläubige Blicke, Diskussionen, blöde Kommentare und mitunter auch interne Schwierigkeiten zu überstehen. Es braucht manchmal eine ganze Menge Geduld, Durchhaltevermögen und Überzeugung, um in der Nische nicht den Mut zu verlieren.

Es stellt sich doch immer mal wieder die Frage: Verändern wir etwas, nur weil wir in einer gemeinsamen Ökonomie leben? Wir schmeißen unsere Einkommen und Vermögen zusammen – nicht nur, weil wir es richtig finden, sondern weil wir es für ein zukunftsfähiges Konzept halten. Solidarität und Umverteilung sollen so ganz praktisch in unseren Alltag einfließen.

Das Interesse an solchen Projekten ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Journalist*innen wollen Interviews mit uns führen, wir werden zu Veranstaltungen und Diskussionen eingeladen und sollen von unseren Erfahrungen berichten. Das ist viel wert, denn so entdecken immer mehr Menschen, dass es auch eine Welt jenseits des Kapitalismus geben kann. Das bedeutet aber leider noch nicht, dass diese Welt Wirklichkeit wird.

Ich muss zugeben: Manchmal ist es ganz schön in meiner Nische. Hier beschäftigen sich alle irgendwie mit Ideen für eine bessere Welt, erarbeiten Strategien und konkrete Vorschläge. Im Grunde wissen wir, was zu tun ist. Projekte wie die gemeinsame Ökonomie zeigen doch, wie es geht! Schaut her: Eine andere Welt ist möglich! Da kann ich Zuversicht tanken und mich darüber freuen, dass wir ganz viel verändern können – und auch schon verändert haben. Ein solches Projekt über 20 Jahre am Laufen zu halten, das ist ja auch schon was! Wo wären wir, wenn es all diese engagierten Menschen nicht gäbe?

Doch wie groß ist die politische Sprengkraft unserer Projekte wirklich? Unterstützen wir eine reale und globale Umverteilung, wenn wir – die wir alle aus einem ähnlichen Umfeld kommen – unser Geld teilen? Natürlich setzen wir vieles konkret um: Wir nutzen viele Gebrauchsgüter gemeinsam, wir konsumieren weniger und bewusster, wir sind Mitglied in der Solidarischen Landwirtschaft, machen Foodsharing und betreiben eine Give-Box. Solche Projekte sind politische Statements. Nur: Wie viel Strahlkraft haben sie?

Wenn ich mich aus meiner Nische herausbewege und mit Menschen in Kontakt komme, die offensichtlich mit meiner Lebensweise nicht viel am Hut haben, dann habe ich oft den Eindruck, ich müsste ganz besonders freundlich sein. Bloß niemandem auf die Füße treten, sonst gelte ich gleich als „naiv“, als „zu radikal“ oder gar „missionarisch“. Immer steht diese latente Forderung im Raum, dass wir anschlussfähig bleiben sollten. Schließlich ist ja das Ziel, mehr Menschen zu erreichen und unsere Nische irgendwann zu verlassen. Also bloß nicht den Anschluss verpassen an die Otto-Normal-Verbraucher*innen!

In letzter Zeit macht mich das ziemlich wütend. Bin wirklich ich diejenige, die aufpassen sollte, was sie sagt? Wenn ich jemanden dafür kritisiere, dass er oder sie mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegt, dann bin schnell ich das Problem – nicht die Flugreise. Ist das nicht abstrus?! Menschen fühlen sich regelrecht bedroht, wenn ich berichte, dass ich keine neuen Klamotten kaufe, dass ich mich vegan ernähre, kein eigenes Auto und kein Smartphone haben will. Es geht mir nicht darum, die Heilige zu spielen. (Das bin ich nicht.) Es geht hier nicht um mich und mein Ego! Es geht um unsere Lebensgrundlagen – und um die der anderen sieben Milliarden Menschen auf der Welt.

Wenn ich aus meiner Nische hinaus in die Welt schaue, habe ich eigentlich keine Lust mehr, freundlich zu bleiben. Die Zeit drängt: Jeden Tag verschärft sich die Klimakrise. Jeden Tag sterben Menschen an den EU-Grenzen. Jeden Tag verdienen deutsche Konzerne an Waffenexporten. Jeden Tag wird jemand vom Jobcenter schikaniert. Jeden Tag leben wir auf Kosten anderer.

In einer solchen Welt will ich überhaupt nicht anschlussfähig bleiben. Die Projekte in der Nische sind diejenigen, die die Richtung vorgeben sollten. Alles andere ist völlig naiv und unrealistisch, wenn wir dieser Welt noch eine Chance geben wollen.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Ausgabe 8/19 von OXI – Wirtschaft anders denken. Link: oxiblog.de

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