Die Gier ist nicht das Problem

Vor kurzem erzählte mir ein älterer Herr, was in der Welt alles schief läuft. Er zählte auf: Krieg, Umweltzerstörung, Armut – und dann noch „die ganzen Idioten“, die sich trotz allem nur um sich selbst kümmern und „keinen Bock“ auf irgendwas haben. Sein Frust war verständlicherweise sehr groß. Gleichzeitig belächelte er aber jede Idee, die ich ihm als Alternative präsentierte. Solche Gespräche ärgern mich. Was möchte dieser Mann von mir hören? Dass er Recht hat, die Welt sowieso vor die Hunde geht und wir deshalb auch nichts mehr ändern müssen? Will er von mir eine Art Freifahrtsschein für Hoffnungs- und Tatenlosigkeit?

Nicht mit mir! Den werde ich ihm nicht ausstellen. Ich bin ich nicht sicher, ob die Welt noch zu retten ist. Ich weiß aber auch nicht, ob sie es nicht ist. Und solange ich das nicht sicher weiß, werde ich so tun, als ob. Vielleicht ist das die Krux an der Sache. In einem Seminar zum Thema Tiefenökologie habe ich folgende These gehört: Wenn wir sicher wären, dass sich alles zum Guten wendet, würden wir nicht mehr aktiv werden. Das fand ich einen spannenden Gedanken. Vielleicht brauchen wir die Unsicherheit, damit wir uns endlich auf einen anderen Weg begeben.

Mein oben erwähnter Gesprächspartner ist da wenig zuversichtlich. Er hat das Vertrauen in den Großteil der Menschen verloren. Für ihn gibt es nach dem gescheiterten Kommunismus der Ostblock-Staaten keine denkbare Alternative zum Kapitalismus mehr. Damit ist er leider nicht allein. Aber als ich ihm erklären wollte, dass es ja vielleicht noch mehr gibt als neoliberalen Kapitalismus und staatliche Planwirtschaft, zog er die Augenbrauen hoch. Solidarökonomie? Bedürfnisorientiert? Kollektiv- statt Privateigentum? „Das klappt doch nie – dafür sind die Menschen viel zu gierig und zu egoistisch“, sagte er.

Dieses Argument begegnet mir häufig, wenn ich über Ansätze der solidarischen Ökonomie spreche. Es macht für mich aber keinen Sinn. Ich kann nicht sagen, ob der Mensch an sich gut oder böse ist – die Philosoph*innen machen sich darüber ja auch schon jahrhundertelang ihre Gedanken. Ich glaube, dass der Mensch sowohl „gut“ als auch „böse“ sein kann, im Sinne von „kooperativ“ oder „egoistisch“. Und wenn wir einmal davon ausgehen, dass wir beides können – oder im schlimmeren Fall vielleicht sogar dazu neigen, egoistisch zu sein – wäre es dann nicht mehr als sinnvoll, unsere Strukturen so zu gestalten, dass kooperatives und solidarisches Handeln belohnt wird, anstatt unsere schlechten Seiten auch noch zu fördern?

Es ist relativ leicht, Einzelpersonen und ihre Charakterzüge für die Missstände im kapitalistischen System verantwortlich zu machen. So gibt es Schuldige – und ich selbst kann mich zurücklehnen: Wir sind halt so! Wenn ich aber davon ausgehe, dass die Strukturen es sind, die uns und unser Verhalten prägen, dann kann auch ich daran mitwirken, dass wir alle besser über die Runden kommen, anstatt mich nur über die anderen aufzuregen.

Nehmen wir das Beispiel Eigentum. Unser jetziges System ist darauf angelegt, dass einzelne Menschen immer mehr Eigentum anhäufen, während der Großteil der Bevölkerung ärmer wird – das belegen zahlreiche Studien, auch in Deutschland. Gemeinsame Ökonomie und kollektives Eigentum hingegen zielen darauf ab, dass Vermögen umverteilt und allen zugute kommt, nicht nur einer einzelnen Person. Wenn z.B. jemand etwas erbt, dann geht das Erbe ins kollektive Eigentum über – in eine Genossenschaft oder in einen Verein, wo im Konsens über die weitere Verwendung beschlossen wird.

Ein anderes Beispiel ist gemeinamer Landbesitz. Immer mehr Ackerflächen werden zu Spekulationsobjekten, die private Gewinne abwerfen sollen. Das ist abstrus, schließlich sind diese Flächen dazu da, Nahrungsmittel anzubauen und menschliche Grundbedürfnisse zu erfüllen. Inzwischen gibt es einige Projekte, die versuchen, Ackerflächen dem Markt zu entziehen, um sie gemeinschaftlich zu verwalten und zu bewirtschaften. Es steht also nicht mehr der private Profit im Vordergrund, sondern das Gemeinwohl.

Ich mag mich täuschen, aber meinem Gefühl nach steigt die Zahl solcher Initiativen genauso wie das Interesse der Bevölkerung. Die globalen Strukturen sind größtenteils noch andere – und ja, das lässt mich manchmal auch hoffnungslos zurück. Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir davon ausgehen, dass „die Menschen“ einfach nicht anders können. Wir können – wir brauchen aber wieder mehr Übung und Fantasie.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Ausgabe 12/19 von OXI – Wirtschaft anders denken. Link: oxiblog.de

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