Im letzten Monat schrieb ich an dieser Stelle über das Konzept des „Buen Vivir“, des guten Lebens für alle, und seine Ursprünge im indigenen Südamerika. Eine Frage, die mich dabei bewegte, war, inwiefern sich dieses Konzept auf unseren Alltag im Globalen Norden übertragen lässt. Ideen, die das Wirtschaftswachstum und unsere Vorstellung von (materiellem) Wohlstand in Frage stellen, werden hier vor allem mit „Verzicht“ in Verbindung gebracht – ziemlich zu Unrecht, wie ich finde.
„Trainieren für den Marathon“ weiterlesenSchlagwort: Aktivismus
Soziale Veränderung ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, schreibt Timo Luthmann und nennt damit eines seiner wichtigsten Argumente für einen Nachhaltigen Aktivismus. Dieser sei notwendig, damit soziale Bewegungen auf lange Sicht erfolgreich sind und einzelne Aktivist*innen in ihrem Engagement nicht ausbrennen. In seinem Handbuch trägt Luthmann verschiedene Ebenen und Ansätze für einen Nachhaltigen Aktivismus zusammen und liefert damit ein „Baukastensystem“, an dem sich Aktivist*innen je nach ihren Bedürfnissen bedienen können.
Was haben die Bewegung 15M in Spanien, die Ökodorf-Bewegung und Post-Development gemeinsam? Sie alle suchen einen Weg zur sozial-ökologischen Transformation – und sie sind nur drei Beispiele aus einem breiten Spektrum von Bewegungen, die zusammen ein Mosaik aus möglichen Alternativen zum heutigen System bilden. Das Projekt „Degrowth in Bewegung(en)“ hat sich zum Ziel gesetzt, einen Teil dieses Mosaiks abzubilden.
Gefühlt bin ich schon viel zu lange an der Uni. Seit 2009 gehöre ich irgendwie zum akademischen Umfeld, irgendwie aber auch nicht. Als ich politisch aktiv wurde, tat sich eine Lücke auf zwischen Studium und Engagement. Scheinbar hatten diese beiden Lebensbereiche nicht viel miteinander zu tun – sie durften es auch nicht. Schließlich ging es auf der einen Seite um Objektivität und Neutralität, auf der anderen aber um Werte, Meinungen und gesellschaftlichen Wandel. Das lässt sich schwer miteinander unter einen Hut bringen. Oder?
Es war eine Premiere für mich. Ob sie gelungen war? Naja, ich würde sagen, es war noch Luft nach oben. Aber immerhin: Neben den Vertretern von DKP und Linkspartei hatte ich die Möglichkeit, meine Ideen von anarchistischer Organisierung darzustellen. In der Podiumsdiskussion zum Thema „Reform oder Revolution“ ging es um systemüberwindende Alternativen und Wege zum Sozialismus. Da konnte eine anarchistische Sichtweise auf jeden Fall nicht schaden. Auch wenn ich dabei vielleicht noch mehr gelernt habe als meine Zuhörer*innen…
Anarchistische Konzepte haben im politischen Mainstream bislang keine Chance. Und auch in sozialen Bewegungen fristen sie oft noch ein Nischen-Dasein. Nichts desto trotz gibt es eine Vielzahl von Menschen, die sich an den Ideen einer herrschaftsfreien Gesellschaft orientieren und versuchen, sie in die (politische) Tat umzusetzen. Der dritte Band der Interview- und Gesprächssammlungen von Bernd Drücke zeigt, wie vielfältig und konkret Anarchist*innen sich organisieren und Projekte am Laufen halten, die schon heute alternative Strukturen aufbauen.
Dieses Zitat gehört zu meinen Lieblingssprüchen: „Her mit dem schönen Leben!“ Es bringt so viel auf den Punkt, ist eingängig und leicht zu verstehen. Ein schönes Leben – das wollen wir doch alle! Und es steht allen Menschen gleichermaßen zu. Niemand sollte sich um das Überleben, das finanzielle Auskommen oder den sozialen Status sorgen müssen. Wir alle haben ein Recht darauf, in Würde und in Frieden zu leben – und selbst zu entscheiden, wie unser Leben aussehen soll. Doch so einfach und banal diese Forderung auch ist: Was ist denn das schöne Leben?
Es braucht nicht den großen Knall. Es braucht keine Zäsur, um unser Gesellschaftssystem zu verändern. Ein Systemwechsel kann auch als Übergang vonstatten gehen: Machtverhältnisse und die Regeln des Alltags verändern sich schleichend. Soziale Normen und Verhaltensweisen verschieben sich. Das kann eine Chance sein für mehr Solidarität und den Abbau von Herrschaftsstrukturen. Es kann aber auch eine große Bedrohung sein – sagen Michael Pauen und Harald Welzer. Ihr Buch „Autonomie – Eine Verteidigung“ lässt mich besorgt fragen: Sind wir schon längst wieder auf dem Weg in eine totalitäre Gesellschaft?
Ich bin sprachlos – und genau deshalb muss ich versuchen, zu schreiben. Vielleicht hilft es, in meinem Kopf wieder ein wenig Ruhe einkehren zu lassen und meine Gedanken wieder zu fokussieren. Heute ist in der Stadt verkaufsoffener Sonntag. Juhu! Und ich sitze hier und denke: Was zur Hölle geht da draußen eigentlich vor? Wie kann es sein, dass es immer weiter geht, dass es immer schlimmer wird und wir – die vielen Menschen, die daran etwas ändern wollen – scheinbar keine Antwort darauf finden?
Scheinbar leiden wir alle an einer besonderen Form des Stockholm-Syndroms, bei dem die Opfer von Geiselnahmen mit der Zeit ein positives Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen, sogar mit ihm sympathisieren und kooperieren. Wir sind kollektiv gefangen genommen worden von der Arbeitsgesellschaft des Kapitalismus. Und obwohl wir eigentlich nach Freiheit und unserem Recht auf Faulheit streben, laufen wir munter weiter im Hamsterrad der Verwertungslogik.
„Sag alles ab: Für einen lebenslangen Generalstreik“ weiterlesen