Solidarisch sein statt hilfsbereit

Solidarische Ökonomie ist für viele linke Aktivist*innen zu einem bedeutenden Schlagwort geworden – eine Art Wegweiser in eine andere, nicht-kapitalistische Welt. Dabei habe ich oft so meine Schwierigkeiten, den Begriff Solidarität überhaupt zu fassen, sowohl theoretisch als auch praktisch. Was bedeutet es denn konkret, solidarisch zu sein? Kann ich mich mit allen solidarisch zeigen, die es brauchen und es verdient hätten? Wie kann ich Solidarität leisten, wenn mein eigenes Konto leer ist oder ich keine Zeit für praktische Unterstützung habe?

Gemeinsame Ökonomie ist ein mögliches Instrument, um Solidarität im eigenen Alltag zu leben. Es bedeutet, nicht länger alleine zu wirtschaften, sondern gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Ich trage die Gruppe und die Gruppe trägt mich. Als Teil des Ganzen habe ich – wie alle anderen auch – das Recht, meine Grundbedürfnisse zu befriedigen, ohne dass ich dafür eine bestimmte Gegenleistung erbringen muss. Das ist die Grundlage unseres kollektiven Wirtschaftens: Wir streben ein gutes Leben für alle an. Unsere Einkommen wandern in eine gemeinsame Kasse, auf die wir alle Zugriff haben. Dadurch kann sich der Blick auf unterschiedliche Einkommensniveaus verändern: Es geht nicht mehr darum, dass „die Reichen“ etwas an „die Armen“ abgeben, weil erstere es sich gerade leisten können und helfen wollen. Nein, der bestehende Reichtum steht (in welcher Form auch immer) erst einmal allen zur Verfügung.

Eine schöne Utopie, oder nicht? Mensch stelle sich vor, wie die Welt aussähe, wenn dieses Prinzip das individuelle Profitstreben im Kapitalismus ablösen würde. Wenn wir alle gemeinsam die Verantwortung tragen würden für unser aller Wohlergehen.

De facto tragen wir diese Verantwortung schon immer, nur werden wir ihr nicht gerecht. Stattdessen werden Almosen verteilt an „die Armen“, die sich dem neoliberalen Credo zufolge entweder nicht genug angestrengt haben oder eben ein Kollateralschaden des Systems sind. Und weil wir keine bösen Menschen sind und andere nicht leiden sehen wollen, spenden wir im besten Fall einen Teil unseres Einkommens, um Menschen in Not zu helfen.

Wenn ich mir diese Not vor Aufgen führe, fällt es mir natürlich schwer, ein Plädoyer gegen das Spenden an sich zu halten. Schließlich ist es besser als nichts – und viele Organisationen leisten mit diesem Geld wichtige Arbeit. Aber ich merke, dass ich ganz schön ins Grübeln komme: Auf Dauer werden diese milden Gaben nichts ändern an den Macht- und Einkommensverhältnissen auf der Welt – vielleicht sogar bestehende Missstände verstetigen.

Solidarität würde im Gegensatz zu Wohltätigkeit bedeuten, uns als Teil des Ganzen zu verstehen und jedem Menschen die gleichen Rechte zuzugestehen anstatt sie durch unsere eigene Lebensweise zu vereiteln. Das ist allerdings eine ganz schöne Herausforderung, denn selbst wenn ich mir über so viele Konsequenzen meines Handelns und meines Konsums im Klaren bin, werde ich meinen Lebensstil kaum soweit umkrempeln können, dass ich nicht mehr auf Kosten anderer lebe (Stichwort: Imperiale Lebensweise). Second Hand-Klamotten zu kaufen wird nicht gleich die Ausbeutung von Textilarbeiter*innen verhindern. Im großen Stil könnte es aber dazu führen, dass weniger Textilien produziert werden.

Sich hierzulande solidarisch zu organisieren und Strukturen aufzubauen, die kapitalistische Prinzipien aushebeln, ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Projekte wie Solidarische Landwirtschaft und Mitgliederläden machen schon vor, wie eine solche Ökonomie vor Ort aussehen und auch funktionieren kann. Diese Nischen werden immer größer – so zumindest mein Gefühl. Solange es nicht zu sehr ins eigene Leben eingreift, lassen sich einige Menschen auf solche Experimente schon ein. Die gemeinsame Ökonomie geht hier noch einen Schritt weiter und setzt beim Einkommen statt beim Konsum an. Und nein, so kann ich auch nicht mit allen solidarisch sein, die es verdient hätten. Ich kann aber versuchen, daran mitzuarbeiten, das hartnäckige Narrativ der Leistungsgesellschaft, in der jede*r für sich selbst verantwortlich ist, aufzubrechen. Genauso wie diese Pseudo-Freiheit, die das eigene Einkommen suggeriert und doch nur auf der Unfreiheit anderer beruht. Wie könnten wir das Ich durch ein solidarisches Wir ersetzen, ohne gleich einen Aufschrei auszulösen? Oder müssen wir einen solchen auch einfach in Kauf nehmen – sozusagen als Kollateralschaden einer solidarischen Ökonomie?

Diese Kolumne erschien zuerst in der Ausgabe 6/19 von OXI – Wirtschaft anders denken. Link: oxiblog.de

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