Alles muss sich rechnen

Direkt nach der Sommerpause hat sich der deutsche Bundestag mit dem Bundeshaushalt für 2024 beschäftigt. FDP-Finanzminister Christian Lindner hat einen Vorschlag vorgelegt, der Ausgaben in Höhe von rund 446 Milliarden vorsieht. Das klingt nach sehr viel Geld.

Tatsächlich will Lindner aber kräftig sparen: Alle Ministerien – abgesehen vom Verteidigungsministerium (!) – sollen weniger ausgeben. So sollen unter anderem Mittel für humanitäre Hilfe, Bafög, politische Bildung und Unterstützung von Geflüchteten gekürzt werden. Das Argument: Generationengerechtigkeit! Es sei nicht fair, so Lindner, auf Kosten der nachfolgenden Generationen Schulden anzuhäufen. Die Schuldenbremse müsste wieder eingehalten werden, denn »wir haben auch eine moralische Verantwortung«.

Wie absurd, wenn ein Politiker von moralischer Verantwortung spricht und in gleichem Atemzug die oben genannten Kürzungen rechtfertigt. Das sehen auch viele junge Menschen so und haben in einem offenen Brief die Sparpolitik und die Bevormundung durch die Bundesregierung scharf kritisiert. Der Haushaltsentwurf werde den gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen nicht gerecht, schreiben unter anderem Fridays for Future, DGB Jugend, ver.di Jugend und BUND Jugend. Sie fordern stattdessen hohe Investitionen in Klimaschutz, Bildungsgerechtigkeit, Armutsbekämpfung und eine nachhaltige Infrastruktur. Die Schuldenbremse verhindere wichtige Investitionen in die Zukunft junger Menschen. Und weiter: »Das Vertrauen junger Menschen in demokratische Prozesse und Parteien geht verloren, wenn das politische Handeln nicht mehr von zentralen Herausforderungen, sondern von überholten ideologischen Maximen geleitet wird.« Gut, dass die Jugendverbände so klare Worte finden.

Interessant ist, dass auch die Kritiker*innen der Sparpolitik ständig von notwendigen »Investitionen« sprechen. So auch der Ökonom Carl Mühlbach vom Verein Fiscal Future, der den offenen Brief mitunterzeichnet hat. Investitionen müssen sich rechnen: Ich stecke Geld in ein Projekt, damit ich später einen Benefit habe. Nur dann macht die Investition Sinn. Klimaschutzmaßnahmen werden in dieser Logik damit begründet, dass die späteren Kosten zum Beispiel von Extremwetterereignissen viel höher wären. Ökonomisch mag das stimmen. Und womöglich ist es strategisch klug, dieser Logik zu folgen, wenn mensch bei Entscheidungsträger*innen Gehör finden will.

Gleichzeitig offenbart sich hier ein grundlegendes Problem: Alles, was wir tun, muss sich auszahlen. Es lohnt sich nur, was später einmal Gewinn abwirft. Was nicht zum Wirtschaftswachstum beiträgt oder gar »der Wirtschaft« schadet, wird nicht diskutiert. Wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen, wäre es aber höchste Zeit die Fragestellung zu ändern in: Was brauchen wir? Dann kämen wir vielleicht zu Antworten und Lösungen, die unserer moralischen Verantwortung wirklich gerecht werden.

Diese Kolumne ist erschienen in CONTRASTE Nr. 469 (Oktober 2023).

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