73 Menschen aus dem Gefängnis freigekauft

Bundesweit über 70 Menschen kaufte der Freiheitsfonds am sogenannten »Freedom Day« am 5. Dezember aus dem Gefängnis frei. Die Menschen saßen wegen Fahrens ohne Ticket in Haft. Die Initiative fordert, dass dieser Straftatbestand abgeschafft wird und stattdessen langfristig eine kostenlose Nutzung des ÖPNV ermöglicht wird. Parallel dazu weitet auch der 9-Euro-Fonds sein Angebot aus.

Das Fahren ohne Fahrschein ist in Deutschland eine Straftat. Doch viele Menschen können sich das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr nicht leisten – und landen deswegen bis zu einem Jahr im Gefängnis. Die Betroffenen seien überwiegend arbeitslos (87 Prozent), ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) und suizidgefährdet (15 Prozent), so der Freiheitsfonds. Eingeführt wurde der Straftatbestand 1935 von den Nationalsozialist*innen.

»Niemand darf wegen fehlender Tickets in Haft landen! Deswegen fordern wir, dass §265a StGB von 1935 gekippt wird«, schreibt der Freiheitsfonds. Und weiter: »Fahren ohne Fahrschein muss entkriminalisiert und langfristig eine kostenlose Nutzung des ÖPNV ermöglicht werden. Außerdem müssen Verkehrsunternehmen aufhören, Menschen zu verfolgen, die ohne Fahrschein fahren.«

Justizminister Marco Buschmann habe bereits mehrfach eine Reform des §265a StGB angekündigt. Demnach soll das Fahren ohne Ticket zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden – bislang ist dahingehend aber nichts passiert. Diese Entkriminalisierung wird laut einer repräsentativen Infratest-Umfrage von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung unterstützt.

Die vorgeschlagene Lösung geht den Aktivist*innen vom Freiheitsfonds allerdings nicht weit genug: Denn auch bei nicht bezahlten Bußgeldern für Ordnungswidrigkeiten könnten Betroffene weiterhin ins Gefängnis kommen – über die Erzwingungshaft. Das Fahren ohne Ticket werde ohnehin mit einem erhöhten Beförderungsentgelt von 60 Euro bestraft. Es mit einem zusätzlichen Bußgeld zu belegen, sei eine ungerechte Doppelbestrafung und erhöhe den Bürokratie-Aufwand für den Staat enorm.

Nicht auf die Politik warten

Die Initiative Freiheitsfonds möchte nicht auf die Politik warten und befreit bereits seit zwei Jahren deutschlandweit Menschen aus dem Gefängnis, die wegen »Fahren ohne Fahrschein« hinter Gittern sind. Das bringe sogar dem Staat etwas, denn »weil jeder aufgelöste Hafttag die Steuerzahler*innen rund 200 Euro kostet, sparen wir dem Staat sogar noch etwas«.

Mit Spenden kaufte der Freiheitsfonds am »Freedom Day #6« am 5. Dezember bundesweit über 70 Menschen aus dem Gefängnis frei. Zu diesem Anlass fanden in Berlin Protestlesungen am Ostkreuz und vor der JVA Plötzensee statt, in denen aus Briefen von Betroffenen aus der Haft vorgelesen wurde. Freiheitsfonds-Gründer Arne Semsrott sagte: »Insgesamt haben wir inzwischen 911 Menschen befreit. Wir können aber nicht ewig die Arbeit des Justizministeriums machen.«

Solidaritätsoffensive gestartet

Anfang Dezember hat zudem der 9-Euro-Fonds sein Angebot ausgeweitet. Menschen, die monatlich in den Fonds einzahlen (neun Euro oder mehr) können von nun an auch eine weitere Person von ihrem Knöllchen für das Fahren ohne Ticket zu befreien. »Teure Knöllchen belasten und können Menschen in eine Armutsspirale stürzen. Im schlimmsten Fall enden sie sogar im Knast! Dem stellen wir uns entgegen und gehen in die Solidaritätsoffensive«, schreibt die Initiative. Wer eine Ticketkontrolle beobachtet, bei der jemand ohne Ticket erwischt wird, kann mit der kontrollierten Person aussteigen und warten, bis die Datenerhebung der Kontrolleur*innen vorbei ist. Danach kann ein Foto des Knöllchens mit der eigenen Mitgliedsnummer an den 9-Euro-Fonds geschickt werden, der die Kosten dann übernimmt.

Der 9-Euro-Fonds ist bereits im September 2022 an den Start gegangen, als das 9-Euro-Ticket offiziell auslief. Seitdem wurden über 200.000 Euro Spenden eingezahlt und 2.500 Knöllchen bezahlt. Der Fonds ersetzt so laut eigenen Angaben über 22.000 9-Euro-Tickets.

Der Fonds funktioniert dabei als Soli-Topf für alle, die mitmachen. Sie zahlen monatlich neun Euro ein, dafür zahlt der Fonds das erhöhte Beförderungsentgelt, das bei einer Kontrolle fällig wird. »Fahren immer mehr Menschen ohne Ticket und fordern damit öffentlich, dass die Regierung das 9-Euro-Ticket wieder einführen soll, steigt der Handlungsdruck«, so die Hoffnung der Initiative.

Links:
freiheitsfonds.de
9eurofonds.de
Petition vom Freiheitsfonds »Kein Gefängnis mehr für Fahren ohne Fahrschein«: https://kurzelinks.de/ub65

Dieser Beitrag ist erschienen in CONTRASTE Nr. 472 (Januar 2024).

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