Schulden begleichen

Für die Zeitung OXI habe ich versucht, die Frage zu beantworten, was in der Wirtschaft wie transformiert werden müsste, um durch entsprechende Gesetze und Verfassungen doch noch irgendwie die Welt zu retten – dieses Mal wirklich. Es sollte um Transformation, nicht Revolution(Utopie) gehen. Ich habe mich daraufhin dem Thema Schuldenerlass und Klimagerechtigkeit zugewandt.. denn der globale Norden könnte jetzt finanzielle Verantwortung übernehmen für Schäden, die er in der Vergangenheit angerichtet hat:

Die Flutkatastrophe in Pakistan ist das jüngste Beispiel dafür, dass Ursachen und Folgen der Klimakrise buchstäblich weit auseinander liegen. Pakistan verursacht weniger als ein Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen. Und doch ist das Land mit den verheerenden Auswirkungen von Extremwetterereignissen konfrontiert, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den vom Menschen gemachten Klimawandel zurückführen lassen. „Vom Menschen gemacht“ müsste richtigerweise heißen: von den Ländern des globalen Nordens. Eine 2020 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte Studie ergab, dass der globale Norden für 92 Prozent der überschüssigen globalen Kohlenstoffemissionen verantwortlich ist, die seit 1850 – als die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Norm geworden ist – ausgestoßen wurden.

Den Preis dessen, was diese Emissionen schon jetzt zur Folge haben, bezahlen hingegen vor allem Länder des globalen Südens. Besonders gefährdete Regionen liegen laut dem IPCC (Weltklimarat) in West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien, Mittel- und Südamerika sowie in kleinen Inselentwicklungsländern und der Arktis. Die Verwundbarkeit sei dort höher, wo Armut, politische Probleme und gewaltsame Konflikte vorherrschen, so die Wissenschaftler*innen. Das liege auch daran, dass diese Länder nicht genügend Geld in Klimaanpassungsmaßnahmen investieren können.

Neben dem immensen menschlichen Leid, das Überschwemmungen, Stürme und Dürren verursachen, kommen auf die betroffenen Staaten hohe Kosten zu. So wird der ökonomische Schaden der Flut in Pakistan auf über 40 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das entspricht den gesamten jährlichen Staatseinnahmen des Landes. Zum Vergleich: Deutschland hat jährliche Staatseinnahmen von rund 1.600 Milliarden US-Dollar. Erschwerend hinzu kommt, dass Pakistan in diesem Jahr 40 Prozent seiner Staatseinnahmen aufwenden muss, um Kredit- und Zinsraten zu zahlen. Das Land gehört laut dem Schuldenreport 2022 (1) zu den „sehr kritisch verschuldeten“ Ländern. Das heißt, die Gefahr ist überaus hoch, dass Pakistan diese Raten gar nicht mehr zahlen kann. Für Staaten existiert aber kein geregeltes Insolvenzverfahren. Stattdessen entscheiden die Gläubiger, ob es bei Zahlungsunfähigkeit eines Schuldnerlandes einen Teilerlass bzw. eine Umschuldung gibt oder nicht.

Pakistan steht mit solchen existenziellen Problemen nicht alleine da: Im Kontext der Corona-Pandemie habe sich die weltweite Verschuldungssituation weiter verschärft, schreiben die Autor*innen des Schuldenreports. Flächendeckende Zahlungseinstellungen konnten 2021 zwar vermieden werden, doch dies gelang oft nur durch rigorose Sparmaßnahmen (zu Lasten der Bevölkerung) und Neuverschuldung. Insgesamt 135 von 148 untersuchten Staaten im Globalen Süden seien aktuell kritisch verschuldet.

„Die Kombination aus hohen Schuldendienstkosten und Klimawandel stellt ein systemisches Risiko für klimaanfällige Volkswirtschaften dar, das einen Teufelskreis auslösen kann“, schreibt die „V20-Gruppe“ (2). Sie fordert daher sofortige Restrukturierungen der Staatsschulden betroffener Länder, um das Schuldenniveau zu senken und damit zeitnah Ressourcen für dringend notwendige Klimamaßnahmen frei zu machen. Im Moment geben Länder des globalen Südens fünf Mal mehr Geld für den Schuldendienst aus als für Klimamaßnahmen, berichtet die Initiative „Debt Justice“. Sie müssten obendrein oft höhere Zinsen zahlen, gerade weil sie häufiger von Extremwetterereignissen heimgesucht werden. Ein Schuldenerlass würde nicht nur dazu führen, dass finanzielle Mittel für den Klimaschutz zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wären entschuldete Länder nicht mehr so stark darauf angewiesen, ihre natürlichen Ressourcen auszubeuten und damit unter Umständen die Klimakrise noch zu verschärfen, nur um ihre Raten bezahlen zu können.

Die beiden letzten Initiativen der G20-Staaten, die der Schuldenkrise im globalen Süden begegnen sollten, entfalteten kaum Wirkung. Zum einen weil die Schuldenzahlungen nur verschoben und nicht gestrichen wurden. Zum anderen weil private Investor*innen nicht in die Pflicht genommen wurden. Diese verlangen häufig höhere Zinsen als öffentliche Institutionen und versuchen immer häufiger, eine vollständige Rückzahlung der Schulden vor Gericht einzuklagen. Während in den 1980er Jahren nur etwa fünf Prozent der Restrukturierungsverhandlungen von Klagen einzelner Gläubiger gegen Schuldnerstaaten begleitet wurden, ist der Anteil laut EZB bis Mitte der 2010er Jahre auf gut 50 Prozent gestiegen. Dabei könnten private Investor*innen gesetzlich verpflichtet werden, sich an Schuldenerlassen bzw. -restrukturierungen zu beteiligen. Insbesondere die USA und Großbritannien müssten dazu entsprechende Gesetze erlassen, denn nahezu alle internationalen Schuldverträge unterliegen dem New Yorker oder britischen Recht.

Inzwischen beschäftigt sich auch die UN-Klimakonferenz mit der ungerechten Verteilung von Emissionen, Klimaschäden und finanziellen Ressourcen. Im Pariser Abkommen wurde das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ verankert, was nichts anderes heißt, als dass entwickelte Länder finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um Entwicklungsländer bei der Umsetzung der Klimaschutzziele zu unterstützen. Die Industriestaaten haben sich 2015 dazu verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Klimaanpassung im globalen Süden bereitzustellen. Diese Zusage wird laut OECD allerdings nicht eingehalten.

Und selbst das versprochene Geld würde nicht reichen. In einer Studie (3) von 2015 wurde berechnet, welche Summen global zwischen den Ländern transferiert werden müssten, wenn die Kosten für die Senkung der Emissionen zu gleichen Teilen in Abhängigkeit vom jeweiligen Nationaleinkommen getragen würden: Es wären mindestens 400 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dabei würden die Kosten für Länder mit hohem Einkommen nicht mehr als zwei Prozent des BIP pro Jahr betragen. Das sei nicht untragbar, so die Autor*innen. Die Ziele für die Klimafinanzierung, zu denen sich die Länder mit hohem Einkommen bislang verpflichtet haben, seien hingegen eher unambitioniert.

Ein Aspekt, der in den zugesagten Klimahilfen noch gar nicht enthalten ist, sind Verluste und Schäden durch den Klimawandel – ein Thema, das auf Druck der gefährdeten Länder bei der Weltklimakonferenz in Ägypten (COP27) erstmals offiziell auf der Tagesordnung stand. Schätzungsweise 20 Prozent des BIP sind den V20-Volkswirtschaften in den letzten 20 Jahren durch Klimaschäden bereits verloren gegangen. Nun wurde bei der COP27 ein internationaler Fonds für die Behebung klimabedingter Schäden beschlossen – drei Jahrzehnte, nachdem diese Forderung das erste Mal formuliert wurde. Die Details sollen allerdings erst bei der nächsten Klimakonferenz 2023 geklärt werden. Vor allem die Frage, welche Länder in den Finanztopf einzahlen und welche davon profitieren sollen, wurde erst einmal verschoben. Bislang hatten sich die Industrieländer bei diesem Thema gänzlich verwehrt und auf bestehende Klimafonds, Versicherungssysteme und humanitäre Hilfe verwiesen – auch aus Angst vor endlosen Haftungs- und Entschädigungsansprüchen.

So stellten die G7-Staaten unter deutscher Präsidentschaft ebenfalls bei der COP27 den „Global Shield against Climate Risks“, eine Art Risikoversicherung. Die Initiative „Debt Justice“ kritisiert, dass die Klimakrise nicht als Versicherungsfall gesehen werden kann. Das Risiko sei nicht unvorhersehbar, diversifiziert und willkürlich, im Gegenteil würden Extremwetterereignisse nachweislich häufiger und in kürzeren Abständen auftreten. Zahlungen über längere Zeiträume zur Bewältigung von langsam einsetzenden Schadensereignissen und nicht-wirtschaftlichen Verlusten seien ebenfalls nicht möglich. Wenn der globale Norden tatsächlich Verantwortung übernehmen wollte, bräuchte es Finanzhilfen in Form von bedingungslosen Zuschüssen.

(1) Der Schuldenreport wird jedes Jahr von Misereor und erlassjahr.de herausgegeben. Informationen zur Methodik und den zugrunde liegenden Indikatoren unter: www.erlassjahr.de

(2) Die „The Vulnerable 20“-Gruppe der Finanzminister (kurz V20) ist eine Kooperationsinitiative von ursprünglich 20 Volkswirtschaften, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind. Seit der Gründung 2015 haben sich dem Bündnis weitere 38 Länder angeschlossen.

(3) „The ‘optimal and equitable’ climate finance gap“, Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment and the ESRC Centre for Climate Change Economics and Policy at London School of Economics and Political Science (2015).

Dieser Beitrag ist erschienen in OXI (12/2022).

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