Im weißen Fleck

Die Farbe Rot bedeutet nichts Gutes. „Extremly alarming“ ist die Hungersituation eines Landes, wenn es auf der interaktiven Karte der Welthungerhilfe rot gekennzeichnet ist. In der Demokratischen Republik Kongo zum Beispiel: Hier liegt der Anteil der unterernährten Menschen in der Bevölkerung bei unvorstellbaren 70 Prozent. Klicke ich auf Indien, ändert sich die Farbe in ein dunkles Orange. Hier ist die Lage „nur“ noch „alarming“. Knapp 45 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind untergewichtig.

Mit einem Klick zum Hunger

So kann ich mich langsam durchklicken. Durch die ganze Welt, durch den ganzen Hunger. Verrückt, oder? Während in Dadaab in Kenia die Menschen immer noch unter den Folgen der Dürre in Ostafrika leiden, sitze ich an meinem Laptop und kann mich mit einer interaktiven Karte vergnügen. Europa und die USA sind darauf übrigens nur weiße Flecken.

Ich sitze in einem solchen weißen Fleck. Hier ist alles in Ordnung. Die Supermärkte stehen voll. Im Fitnessstudio versuchen unzählige Menschen (ich nehme mich davon nicht aus), ihre überflüssigen Pfunde loszuwerden. Und im Kongo hat mehr als jeder Zweite nicht genug zu essen. Diese paradoxe Situation ist nicht neu, ich weiß. Trotzdem schadet es meines Erachtens nicht, sie immer und immer wieder beim Namen zu nennen. Man vergisst einfach zu leicht und zu schnell, wie die Welt außerhalb unseres westlichen Horizonts aussieht.

Welthunger-Index 2011

Und wie sie aussieht, zeigt unter anderem der gerade erschienene Welthunger-Index: In 26 Ländern ist die Hungersituation ernst oder sogar sehr ernst. Immer noch leiden weltweit 925 Millionen Menschen unter Hunger. 925 Millionen. Diese Zahl liest sich so einfach und so oft hat man schon davon gehört. Aber hey, das ist mehr als das Zehnfache der deutschen Bevölkerung. Das ist ungefähr jeder siebte Mensch auf der Welt. Es ist einfach unglaublich.

Zwar fehlt es auch mir an Vorstellungskraft, mir die Dimensionen des weltweiten Hunger klar zu machen. Aber eins ist sicher: Es braucht definitiv mehr, als die üblichen fünf Minuten Betroffenheit, die eine solche Mitteilung (wenn überhaupt) auslöst. Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich solche Nachrichten höre und sofort wieder vergesse oder verdränge. Meistens hat man halt gerade selbst irgendwelche Probleme, Stress oder einfach zu gute Laune, die man sich nicht vermiesen lassen will – vor allem nicht von traurigen Kinderaugen, die einem ein schlechtes Gewissen machen.

Die Augen öffnen

Aber das kann es einfach nicht sein. Jeder sollte und muss sich dem stellen, die Augen öffnen und die Zahl geradewegs auf sich zukommen lassen. Man darf sie einfach nicht ignorieren. Denn es gibt nicht uns und die anderen. Wir gehören alle zu den knapp sieben Milliarden Bewohnern der Erde, ob wir wollen oder nicht. Und wir sind nicht ganz unschuldig daran, dass diese Zahl existiert.

Zwar sind unsere persönlichen Handlungsmöglichkeiten begrenzt, aber es gibt sie. Das wird genauso gerne verdrängt, wie die Zahl selbst. Vielleicht regt die Karte ja nicht nur dazu ein, interaktiv zu sein, sondern aktiv zu werden. Im eigenen Leben. Im weißen Fleck.

5 Kommentare zu „Im weißen Fleck

  1. Hallo,
    ich muss dir erstmal ein Kompliment für den Aufbau des Artikels machen, den finde ich nämlich wirklich ziemlich gut gelungen :) Ich finde diesen roten Faden wirklich toll:D Das Einzige, das vielleicht noch gefehl hätte, wäre eine kurze Afzählung der Sachen, die man tun kann, wobei du da ja den Link hast.
    So nun aber zum Inhalt: Ich gebe dir recht, ich finde es auch schrecklich, wie viele Leute hungern, aber irgendwie weiß ich nicht so recht, was ich tun soll…also klar, nicht so viel verschwenden (inklusive vegan leben^^) und möglichst fairtrade Produkte kaufen, aber das ist gar nicht so einfach…und es kommt mir so vor, als wäre ich viel zu inkonsequent (außer beim Veganismus), wenn ich sowas lese.. :-/
    Viele Grüße ;D

  2. Das Thema war bei mir vor Kurzem auch mal wieder „ganz vorne auf dem Schirm“. Im Bekanntenkreis wurde das u.a. auch diskutiert und ich beharrte, dass man selbst was tun kann. Die meisten verdrängen doch gern mit der vorgespielten Rechtfertigung nichts tun zu können. Irgendwann wird einem dann nur noch Zynismus entgegen gebracht. Sprüche wie „Hauptsache ich hab keinen Hunger!“ oder „Damit es uns gut geht, müssen Andere unterdrückt werden!“ Egal wie lange man versucht, sachlich und argumentativ zu diskutieren… diese Mauer des Selbstschutzes, des Kurzsichtigen, des Empathielosen (oder was weiss ich, was es ist) wird man in den seltesten Fällen einreissen können… Oft ist es doch so, dass man sich in Diskussionen aufreibt, und am Ende ist nichts gewonnen. Wenn man Pech hat, wird man noch als Gutmensch oder Spinner abgestempelt…

    Noch ein Tipp!
    Aus der ARD-Mediathek: ‚Hunger‘: Dokumentation über Menschen, die gegen Hunger kämpfen.
    Warum ist die Bekämpfung von Hunger so schwierig? Fakt ist: Es werden zehn Prozent mehr Lebensmittel produziert als man benötigt, um alle Menschen satt zu bekommen. Marcus Vetter und Karin Steinberger sind in fünf Ländern auf Spurensuche gewesen: Was sind die Gründe für Hunger?
    http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=5685584

    Gruß und viel Erfolg mit deinem Blog!

  3. @schneeflocke89: Dankeschön! Ich weiß, was du meinst, wenn du sagst, du fühlst dich inkonsequent. Mir geht es auch so. Aber es ist wichtig, dass man deswegen dem Thema nicht ausweicht. Es geht ja nicht darum, den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern ein Bewusstsein zu schaffen. Dann kommen hoffentlich irgendwann auch die Veränderungen.

    @Auge: Danke für den Tipp. Die Doku ist wirklich gut, habe sie mir auf DVD besorgt. Mit solchen Diskussionen habe ich leider auch bisher nur schlechte Erfahrungen gemacht, weil sie selten zu einem Ergebnis führen. In geselliger Runde passt es halt oft nicht zur Stimmung etc… Dafür hab ich für mich auch leider noch keine Lsösung gefunden.

  4. Ja, das ist schon echt skurril. Hier essen wir mehr als gut für uns ist und woanders sterben Menschen an Unterernährung.

    Kennst Du das Buch „Die Essensvernichter“? Dort wird unter anderem beschrieben, wie viel Essen bei uns auf dem Weg vom Feld auf den Teller weggeworfen wird. Das ist echt erschreckend.

  5. Von dem Buch habe ich gehört. Gelesen hab ich es aber nicht. Den dazugehörigen Film „Taste the Waste“ hab ich mir angeschaut. Kommt glaub ich auf’s selbe raus: ein Paradoxon.

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