Seit Anfang August gibt es in Kassel wieder einen Mitgliederladen. Das Schmackes-Kollektiv möchte vor allem Produkte von regionalen Erzeuger*innen anbieten.
Sichtlich aufgebracht stürmt ein Nachbar in den Laden. „Sind Sie hier der Chef?“, fragt er. Peter schüttelt den Kopf und antwortet: „Nein, das sind wir alle.“ Trotzdem hört Peter sich den Ärger des Mannes an und versucht eine Lösung für den Konflikt um die Parkpklätze vor dem Haus zu finden. Vielleicht eine sinnbildliche Szene.
Schauplatz ist der neue Mitgliederladen Schmackes in der Kasseler Nordstadt. Peter ist einer der sechs Kollektivist*innen, die den Laden seit Anfang August gemeinsam betreiben. Anders als der Nachbar es erwartet, gibt es hier keinen Chef. Die Kollektivist*innen entscheiden im Konsens, jede*r von ihnen hat das gleiche Mitspracherecht. Das gilt zum Beispiel für das Produktangebot, die Akquirierung von neuen Lieferant*innen oder die Öffnungszeiten.
Schmackes hat jeden Tag von 9 bis 19 Uhr geöffnet, zusätzlich samstags von 9 bis 15 Uhr. Einzige Ausnahme: Donnerstags findet von 12 bis 15 Uhr das Kollektiv-Plenum statt. Dann ist der Laden geschlossen. „Wir müssen jeden Tag zwölf Arbeitsstunden abdecken – und es sollen immer zwei von uns im Laden sein“, erklärt Peter. Mit sechs Kollektivist*innen, von denen drei noch einen anderen Job haben, ist das so grade zu leisten. Deshalb sollen bald noch drei Aushilfen eingestellt werden.
Auskommen und Freizeit
Noch trägt sich das Projekt wirtschaftlich nicht. Die drei Kollektivist*innen, die im Moment die meiste Zeit im Laden verbringen, sich um Bestellungen und Buchhaltung kümmern, bekommen ungefähr 800 Euro ausgezahlt. Die anderen verdienen ihr Geld an anderer Stelle. „Unser Ziel ist es, dass wir um die 20 Stunden pro Woche arbeiten und uns dafür ein angemessens Monatsgehalt auszahlen können, also um die 1200 Euro netto“, rechnet Peter vor. „Wichtig ist uns, dass wir nicht nur ein Auskommen haben, sondern auch genug Freizeit und Raum für andere Projekte.“ Das Kollektiv will Rücksicht nehmen auf die unterschiedlichen Arbeitsansprüche der Einzelnen. Bei einer so heterogenen Gruppe, was zum Beispiel Alter und Bildung angeht, sei das nicht ganz einfach. „Aber wir haben bei allen Unterschiedlichkeiten eine angenehme Atmosphäre und nähern uns immer weiter an.“
Die gute Atmosphäre schätzen auch die Kund*innen. Seit ihrer Eröffnung am 1. August gab es durchweg positives Feedback. Vielen Kasseler*innen fehlte offenbar eine Einkaufsmöglichkeit jenseits der großen Supermarktketten und Bio-Läden. „Die Leute mögen das persönliche Umfeld bei uns im Laden“, sagt Peter. „Und hier können sie bei sehr vielen Produkten nachvollziehen, von wem, wo und wie sie hergestellt wurden.“
Kontakt zu Onkel Emma
Dem Kollektiv ist es wichtig, vor allem Strukturen für regionale Erzeuger*innen zu schaffen. Aus eigener Erfahrung weiß Peter, dass es bei der Produktion qualitativ hochwertige und regionale Lebensmittel häufig an der Vermarktung scheitert. Gemeinsam mit seinem Mitkollektivisten Erik betreibt er eine Mosterei für regionales Obst. Mitunter war es sehr schwierig, die Säfte zu verkaufen. Doch das Saftmobil liefert unter anderem an den Mitgliederladen Onkel Emma in Marburg, der bereits 2001 eröffnet hat und inzwischen 700 Mitglieder und eine lange Warteliste hat.
Von deren Organisationsstrukturen war Peter begeistert und dachte: „So etwas muss doch auch in Kassel funktionieren.“ Schnell fand sich eine kleine Gruppe, die sich alle zwei Wochen traf und die Idee weiterentwickelte. Als das Saftmobil ein neues Getränkelager brauchte und Räume in der alten Brandfabrik in der Kasseler Nordstadt zur Verfügung standen, griff das Kollektiv zu. Es stand außer Frage, das Konzept des Mitgliederladens zu übernehmen. Dank der Mitgliedsbeiträge können die Kollektivist*innen mit einem festen Einkommen kalkulieren und planen. Sie sind keinen Schwankungen ausgesetzt, müssen keine Angebots- oder Rabattaktionen starten.
Allerdings haben sie sich dafür entschieden, ein Zwei-Preis-System einzuführen. So können auch Menschen im Laden einkaufen, die keine Mitglieder sind, bezahlen dafür aber einen höheren Preis. Wer neugierig ist oder zufällig vorbeikommt, ist bei Schmackes also auch willkommen. Zwar sorgt die Lage kaum für Laufkundschaft, dafür sollen aber die Anwohner*innen direkt angesprochen werden. Und auch die rund 600 Leute, die auf dem Gelände arbeiten, kommen als Kund*innen in Betracht.
Nächstes Jahr 500 Mitglieder
Im Moment zählt der Laden 75 Mitglieder. Obwohl das Kollektiv erst mit 100 Mitgliedern starten wollte, hat der Laden nun schon geöffnet. „Wir wollten einfach loslegen, um in den Ferien die Abläufe zu organisieren und zum Start des Semesters präsent zu sein“, sagt Peter. Im Kontakt mit anderen Mitgliederläden lautete der einhellige Rat: Wenn ihr erstmal eröffnet habt, kommen die Mitglieder von ganz allein. Ein eingerichteter Laden mit Vollsortiment sei einfach anziehender als ein abstraktes Projekt. Am Ende des Jahres möchte Schmackes 300 Mitglieder haben, im nächsten Jahr sollen es dann 500 sein. Die Zahl der Kollektivist*innen soll sich erstmal nicht erhöhen, langfristig könnten aber durchaus noch ein oder zwei Personen einsteigen.
Vier der Kollektivist*innen sind gleichzeitig Geschäftsführer*innen der Schmackes GmbH. Peter: „Wir haben uns für diese Rechtsform entschieden, weil sie es uns einfacher macht, mit personellen Fluktuationen umzugehen. Außerdem können wir uns selbst anstellen, das bietet zum Beispiel Vorteile bei der Krankenkasse.“ Generell sei die Rechtsform bei Mitgliederläden in Deutschland aber ganz unterschiedlich, offenbar gebe es nicht die eine richtige Alternative.
Eine gute Alternative haben nun aber wieder die Menschen in Kassel, die genug haben von der Anonymität und Unübersichtlichkeit der großen Supermärkte, die bewusst und regional einkaufen möchten. Im Mitgliederladen können sie sich nicht bei einem Chef beschweren, dafür aber direkt mit den Kollektivist*innen ins Gespräch kommen und ihre Wünsche äußern – wenn nach dem Einkauf noch welche offen geblieben sind.
Dieser Artikel erschien zuerst in der CONTRASTE – Die Monatszeitung für Selbstorganisation (Ausgabe 10/15).
Fairerweise… es gibt mindestens noch einen Mitgliederladen in Kassel, den Bioladen Querbeet in Nordshausen, Martin Sulzbacher ist da der Chef und Organisator. Viel Erfolg allen von Euch!
Das stimmt! Vielen Dank für die Ergänzung. Zudem gibt es noch den Mila O. in Oberkaufungen, ein Mitgliederladen und Kollektiv der Kommune Lossehof.
Und was soll sich dadurch ändern?
Das ist genauso Marktwirtschaft bzw. Kapitalismus wie in jedem anderen Geschäft auch.
Und wie der vorherige Kommentar schon erwähnte Konkurrenz mit anderen, die ähnliche Waren anbieten.
Der Fehler solcher Projekte ist, daß diese mitten im Kapitalismus (d.h. ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die sich daraus ergebenden sog. Sachzwänge abzuschaffen) etwas anderes machen möchten.
Was schlichtweg eine Illusion ist (auch ohne einen „Chef“).
Mit freundlichen Grüßen
Flash