Die Zukunft, die wir wollen

Was ist schlimmer, die Wut oder die Ohnmacht? Vielleicht die Wut über die Ohnmacht? Ich weiß es nicht. Das einzige, was ich weiß, ist, dass ich die Meldungen aus Rio kaum ertrage.

Ich sitze in der Straßenbahn und lese, dass sich die Teilnehmer des Umweltgipfels „Rio+20“ nach zähem Ringen auf eine Abschlusserklärung geeinigt haben. Regierungschefs oder vielmehr Regierungsvertreter (Barack Obama, David Cameron und auch Angela Merkel halten es ja noch nicht einmal für nötig, zu erscheinen) stimmten dem Text unter dem Titel „Die Zukunft, die wir wollen“ bereits vor Beginn des Gipfels zu.

Kritik bleibt folgenlos

Wenn unsere Zukunft tatsächlich so aussehen soll, wird sie alles andere als rosig. Es ist eine Katastrophe – sagen auch Umweltverbände und Hilfsorganisationen. Nur scheint das keinen Eindruck zu machen auf die Entscheidungsträger. Genauso wenig wie der „Gipfel der Völker“ mit 30.000 Teilnehmern, der als Gegenveranstaltung in Rios Zentrum tagt. An Forderungen, Gegenvorschlägen und konstruktiver Kritik mangelt es nicht – und trotzdem ist keinerlei Veränderung in Sicht. Dabei wäre sie dringend nötig.

Ernüchternde Bilanz

Vor 20 Jahren fand der berühmte Erdgipfel in Rio statt. Es schien ein neues Zeitalter anzubrechen, die Idee der Nachhaltigkeit wurde geboren. Das internationale Klimaschutzabkommen UNFCC wurde verabschiedet, ebenso Konventionen zum Artenschutz und zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Doch die Bilanz seit 1992 ist ernüchternd: Anstatt die CO2-Emissionen zu senken (eigentlich Ziel war eine Verminderung um 60 Prozent bis 2050), sind sie gestiegen: von 22 Milliarden Tonnen in 1992 auf 30,6 Milliarden Tonnen in 2010 (1). Nach 16 Klimagipfeln läuft das Kyoto-Protokoll dieses Jahr aus, die USA war ihm nie beigetreten, Kanada ist vorzeitig ausgestiegen. Ein Viertel der globalen Landfläche ist Wüste. Das Artensterben geht weiter. Jedes Jahr gehen rund vier Millionen Hektar Tropenwald verloren (2).

Text wie Zuckerwatte

Von einer erfolgreichen Entwicklung kann also wahrlich keine Rede sein. Umso wichtiger wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Doch schon die Abschlusserklärung von „Rio+20“ lässt die Hoffnung schwinden. Stefan Krug von Greenpeace verglich den Text mit Zuckerwatte: „Er ist süß und glänzt, und wenn man reinreißt, ist eigentlich nur Luft drin.“ Zu viele Appelle, zu viele Bestätigungen, zu wenig Substanzielles (3). Ziel sollen eine Stärkung des UN-Umweltprogramms UNEP, die Entwicklung von Nachhaltigkeitszielen (SGDs) und die Umstellung auf die „Green Economy“ sein.

Keine Konsequenzen aus Finanzkrise

Juhu, das klingt doch toll – und irgendwie so leicht. Nur leider fehlt etwas ganz Entscheidendes: Das bestehende System wird nicht in Frage gestellt. Ein Wechsel hin zu einer umweltschonenderen Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit liegt in weiter Ferne. Stattdessen wird weiter der Glaube an eine unbegrenzt wachsende Wirtschaft propagiert. Ein Paradox an sich: Während in Europa die Finanzkrise tobt und den Gipfel überschattet, werden in Rio keinerlei Konsequenzen daraus gezogen. Im Gegenteil.

Wachstum mit grünem Mäntelchen

Die Wirtschaft soll weiter machen wie bisher – nur mit grünem Mäntelchen. Das Fundament legt der UNEP-Bericht „Hin zur Green Economy: Wege zu nachhaltiger Entwicklung und Bekämpfung der Armut„. Demnach sollen zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (derzeit rund 1,3 Billionen US-Dollar) in den ökologischen Wandel investiert werden. In fünf bis zehn Jahren soll die grüne Wirtschaft dann sogar höhere Wachstumsraten bringen als das heutige Modell. Binnen zwei Jahrzehnten sollen mindestens 15 Millionen, möglicherweise sogar bis zu 60 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

Wir brauchen Grenzen

Wann begreifen wir endlich, dass unbegrenztes Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist? Wirtschaft ohne Grenzen ist nicht „grün“, schreibt zum Beispiel Greenpeace in seinen Forderungen zu „Rio+20“ und greift nur zwei der Fallstricke der „Green Economy“ auf: Effizienzgewinne werden durch Mehrverbrauch zunichte gemacht, fossile Energien werden durch regenerative ergänzt, aber nicht ersetzt.

Wahrheiten suchen

Ohne absolute Obergrenzen für Energie- und Ressourcenverbrauch und deren Emissionen geht es nicht. Vor allem die Bevölkerung in den Industrieländern muss ihren Verbrauch senken. Sie leben auf Kosten der Umwelt und der armen Länder. Ein Fünftel der Weltbevölkerung (1,4 Millarden) verbraucht allein 80 Prozent der Ressourcen. Statt wie besessen das BIP zu beschwören, sollten soziale, ökologische und humanitäre Faktoren berücksichtigt werden. Wer offen ist für diese (bitteren) Wahrheiten und nach Alternativen sucht, wird sie finden – allerdings nur abseits des Gipfels und damit abseits der breiten Öffentlichkeit. Warum?

Mangel an Demokratie

Eine mögliche Erklärung liefert George Monbiot in seinem Artikel „Gipfel der Unverschämtheit„. Er sieht das Problem in den Regierungen, die ursprünglich als Vertretung aller Bürger gedacht waren, inzwischen aber nur noch auf Geheiß der Eliten handeln. Unweigerlich landet man bei diesem Gedankengang bei der europäischen Krisenpolitik, die nicht erst seit gestern an einem enormen Demokratiedefizit leidet. Mit der Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt am 29. Juni, dem außer der Linkspartei offenbar keine Partei etwas entgegenzusetzen wagt, erreicht diese Entwicklung einen neuen traurigen Höhepunkt.

Probleme haben oft den gleichen Ursprung

Aber was braucht es? Diese Frage treibt mich jedes Mal auf’s Neue um, wenn ich die Nachrichten verfolge – seien es die Hiobsbotschaften aus Griechenland, die aktuellen Flüchtlingszahlen der UN, die Warnungen vor neuen Hungerkrisen in Afrika oder auch die zunehmenden Sanktionen gegen HartzIV-Empfänger in Deutschland. Im Grunde lassen sich die meisten Probleme auf unser Entwicklungsmodell des Wachstums zurückführen. Es lässt die Schere zwischen Arm und Reich stetig größer werden, es befördert Armut, Kriege und Hunger, beutet Natur und Menschen aus.

Prinzip Hoffnung

Wo bleibt er, der weltweite Aufschrei? Greenpeace setzt auf Gesetze und politische Vorgaben sowie auf Bildung und öffentliche Diskussionen um alternative Lebensstile. Klingt gut, aber angesichts der Kluft zwischen dem, was Politik tun sollte und tatsächlich tut, scheint es fast aussichtslos, darauf noch große Hoffnungen zu setzen.

„Wo sind sie alle? Die großen sozialen Bewegungen der vergangenen zwei Jahrhunderte sind verschwunden und nichts ist an ihre Stelle getreten. Wenn dann doch einmal ein paar hundert Leute Stellung beziehen, wie das die Occupy-Camper getan haben, dann verlässt sich der Rest der Nation darauf, dass sie einen Wandel bewirken, der das Engagement von Millionen erfordert. Ohne Massenbewegung, ohne die Art von Konfrontation, die nötig ist, um die Demokratie wieder zu beleben, wird alles, worauf es wirklich ankommt, aus den Manuskripten der Politiker gestrichen werden. Aber wir mobilisieren nicht – vielleicht weil die Hoffnung ihre verführerische Kraft nie verliert.“ (George Monbiot)

Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch ich hoffe, dass alles gut wird. Dass sich das Blatt noch einmal wendet. Ich versuche zwar, mein Leben irgendwie so auszurichten, dass es wenig möglich Schaden anrichtet und vielleicht sogar noch einen Zweck erfüllt – nämlich gegen Missstände zu protestieren, andere Menschen darauf aufmerksam zu machen und zumindest zu versuchen, etwas dagegen zu tun (Beispiele: Blockupy Frankfurt oder Attac Würzburg). Und trotzdem habe ich oft das Gefühl, machtlos zu sein. Meine Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Das große Ganze scheint so übermächtig. Eigentlich sollte man alles hinschmeißen und all seine Kräfte darauf verwenden, die Welt zu retten. Denn wenn es so weiter geht, droht irgendwann der Kollaps. Ich bin sicher, dass sich das System irgendwann ändern wird. Es ist nur die Frage, ob der Wandel geordnet und freiwillig oder chaotisch und gezwungenermaßen vonstatten geht. Ist das die Zukunft, die wir wollen?

Zum Weiterlesen:

Welthungerhilfe
BUND
Greenpeace

Zeit Online: „Grünes“ Wachstum wäre ein Wunder (Niko Paech)

Main-Post: Die Grenzen des Wachstums – Interview mit Reinhard Loske

Quellen:

(1) Greenpeace

(2) Welt-Sichten

(3) Hamburger Abendblatt/dpa

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